Nach zwei enttäuschenden Spielen herrscht Unzufriedenheit bei manchen Fans. Rückschläge in einer Entwicklung sind allerdings normal. Eine Analyse.

Das 1:1 Unentschieden gegen den Aufsteiger aus Luton und die Niederlage in der Europa League gegen den FC Toulouse ist kein Weltuntergang, aber ein Finger in die noch nicht verheilte Liverpooler Wunde der vergangenen Saison. Mit dem Punktgewinn in der Liga ist Liverpool nach elf Spieltagen Dritter, vor Vizemeister Arsenal, nach Meister Manchester City und dem Überraschungsteam Tottenham Hotspur gerade einmal drei Punkte hinter der Tabellenspitze. Und auch in der Europa League sieht es gut aus. Trotz der Niederlage führt man die Gruppe E nach vier Spieltagen an. Schwarzmalerei ist nicht angebracht, dennoch zog Liverpool in beiden Partien in manchen Momenten blank.

(Noch) kein Formtief

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Fast fünf direkte Schussvorlagen pro Spiel, 0,43 Expected Tore + Assists pro Spiel (Ligadurchschnitt 0,19 bei offensiven Mittelfeldspielern) und 2,23 Torschüsse pro Spiel sind nur ein Indiz dafür, warum Dominik Szoboszlai als Steven-Gerrard-Nachfolger betitelt wird. Davon war am vergangenen Sonntag allerdings wenig bis gar nichts zu sehen. Seine Auswechslung in Minute 66. für Harvey Elliott, dem späteren Vorlagengeber zum 1:1, war folgerichtig. Aber auch am vergangenen Donnerstag war er nach seiner Einwechslung kaum ein Faktor. Darwin Núñez, fantastisch aus der vergangenen Länderspielpause gekommen, scheiterte am Wochenende mehrmals, in der 70. Minute sogar kläglich vor dem Tor vom gut parierenden Thomas Kaminski. Das erinnerte schon fast an die vergangene Saison. Trent wurden seine defensiven Schwächen von Chiedozie Ogbene drastisch aufgezeigt, indem er sämtliche Laufduelle verlor und sich im Zweikampfverhalten mehrmals düpieren ließ.

Ähnlich wie Kostas Tsimikas, der als Einwechselspieler am Wochenende kaum eine Rolle spielte und in der Schlussphase, als es darum ging, noch irgendwie etwas mitzunehmen, teilweise absurd dumme Fouls machte. In der Europa League verschuldete er schlafmützig mit einem Ballverlust das 1:0 für die Franzosen. Bislang kommt er nicht im Ansatz an die Leistungen von Stamm-Linksverteidiger Robertson heran. Diese Leistungen lassen sich noch mit einem schlechten Tag argumentieren. Halten diese schlechten Tage allerdings an, kann sich daraus schnell ein Formtief entwickeln.

Beide Spiele können früh einen anderen Verlauf nehmen

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Dennoch können beide Partien schnell in eine andere Richtung laufen. Entscheidet Darwin Núñez das Privatduell mit Lutons Keeper in den ersten paar Minuten für sich, kann Liverpool nach 15 Minuten 2:0 führen. Und auch gegen Toulouse kann das Spiel früh in eine andere Richtung gehen. Erzielt Joe Gomez in der 4. Minute sein erstes Tor für Liverpool und trifft eben nicht das Aluminium, ist das Stadion am französischen Garonne erstmal ruhig. In beiden Partien trifft Liverpool aber nur das Aluminium, in beiden Partien hätte man früh die Weichen auf Sieg stellen können. Ob man am Ende wirklich mit zwei Siegen dastehen würde, steht auf einem anderen Blatt.

Teil des Prozesses

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Während man von Thomas Sageder (Trainer Linzer AK) für das Rotieren in der Europa League kritisiert wird, ist anzumerken, dass auch Liverpools halbe B-Elf gegen den 14. der Ligue gewinnen kann und sollte. Zuletzt waren die Franzosen fünf Spiele in Folge sieglos, machten in der Liga insgesamt nur 12 Tore und waren auch im Hinspiel an der Anfield Road keine Übermannschaft.

Dennoch schaffte es das Team von Carles Martinez fünf Tore (zwei aberkannt) gegen Liverpool zu erzielen. Und auch beim Aufsteiger aus Luton hat man natürlich den Anspruch, das Spiel zu gewinnen. Trotz der heißen Stimmung im Stadion und der „Wir haben nichts zu verlieren“-Einstellung von Luton. Dennoch sind solche Rückschläge eingeplant.

Ben Doak, so hoch veranlagt er sein mag, kann mit seinen 17 Jahren nicht Mohamed Salah 1 zu 1 ersetzen. Das weiß Klopp, das weiß der Verein. Niederlagen, gerade in der Europa League-Gruppenphase, wo viel rotiert wird, sind einkalkuliert und vertretbar. Vielmehr ist die Art und Weise der Niederlage erschütternd. Kaum ein Aufbäumen, kaum Feuer, kaum Energie. Das sieht man in dieser Deutlichkeit selten. Bekommt das Team von Jürgen Klopp Gegenwind in Form von einem Gegner, der alles auf dem Platz lässt, hat Liverpool, trotz der qualitativen Überlegenheit, Probleme. Gegen den LASK reichte lange die B-Elf, gegen Toulouse und Luton nicht. Hätte das Tor von Quansah gezählt, hätte man zwar nicht verloren, macht die Leistung insgesamt allerdings nicht besser.

Sind schlechte Leistungen einkalkuliert?

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Diese zwei Dämpfer in der Liga und Europa League sind kein Beinbruch. Eher ein kalkulierter Stolperer inmitten eines Umbruchs. Solche Spiele kommen, solche Spiele sind normal für die Entwicklung einer Mannschaft und solche Spiele sollten nicht das positive Gesamtbild der Mannschaft schmälern. Das Team ist auf einem guten Weg. So überraschend die explosive Entwicklung von einem Dominik Szoboszlai in den ersten Wochen war, desto weniger überrascht sollte man sein, dass auch er irgendwann schlechte Tage hat. Es hat Jahre und mehrere Rückschläge gedauert, bis sich Liverpools letzte Ära gebildet und gefunden hat – und auch das Projekt „Liverpool 2.0“ braucht Zeit.

Geschrieben von Sönke Othersen | Artikelbild: JUSTIN TALLIS/AFP via Getty Images