Am Samstag geht es für den Liverpool FC am sechsten Spieltag der Premier League im Stadtderby zum Everton FC. Unsere Gegneranalyse:

Auf der anderen Seite des Stanley Parks versuchte man jahrelang, die Topteams anzugreifen. Dies gelang trotz hoher Investitionen nie so richtig. Seit letzter Saison muss man jedoch kleinere Brötchen backen.

Richarlison wegen FFP verloren

Das englische Financial Fairplay, das im Gegensatz zu seiner europäischen Variante wirklich Anwendung findet und von den Vereinen einzuhalten ist, zwang die Toffees dazu, bis spätestens 30.06.2022, dem Ende des Geschäftsjahrs, große Einnahmen zu generieren. Daher entschloss man sich, den großen Star des Teams Richarlison (25) ziehen zu lassen. Der brasilianische Nationalstürmer wechselte für 58 Millionen Euro zu den Tottenham Hotspur.

Ansonsten gab der Verein nur Spieler ab, die keine Rolle mehr in den Planungen spielten und die auch keine Ablösesummen einbrachten. Rechtsverteidiger Jonjoe Kenny (25) ging zu Hertha BSC Berlin, die beiden Offensivspieler Cenk Tosun (31) und Dele Alli (26) nach Istanbul zu Besiktas. Die Verträge mit Fabian Deloh (32) und Gylfi Sigurdsson (32) wurden nicht verlängert. Dazu verlieh Everton einige Talente sowie den ehemaligen 25-Millionen-Euro-Einkauf Jean-Philippe Gbamin (26).

Vor allem im Mittelfeld nachgelegt

Ab Juli konnte Everton dann – befreit von den Fesseln des FFP – wieder investieren. Und das tat man auch. Von Absteiger Burnley kamen gleich zwei Spieler. Innenverteidiger James Tarkowski (29) unterschrieb nach Vertragsende, für Flügelspieler Dwight McNeil (22) wurden 24 Millionen Euro überwiesen. Der teuerste Neuzugang ist Amadou Onana (20). Der ehemalige Hamburger kam für 36 Millionen Euro aus Lille und gilt im defensiven Mittelfeld als eines der größten Talente Europas.

Für große Schlagzeilen gesorgt hat die Leihe von Conor Coady (29). Der Innenverteidiger wurde beim Liverpool FC ausgebildet und ist auch Fan der Reds. Da Coady bei den Wolverhampton Wanderers im Sommer aussortiert worden war, jedoch unbedingt im November im Weltmeisterschaftskader Englands stehen will, musste er die Pille schlucken und zu den Toffees wechseln. Everton ist die einzige Mannschaft der Premier League, bei der er als zentraler Mann der Dreierkette Stammspieler sein konnte.

Mit Linksverteidiger Ruben Vinagre (23, leihweise von Sporting) und Stürmer Neal Maupay (26, für 17,5 Millionen aus Brighton) holte Everton zudem noch zwei Spieler für die Kaderbreite. Vor allem Maupay ist wichtig, da Stammstürmer Dominic Calvert-Lewin (25) recht verletzungsanfällig ist und ansonsten nur noch Salomon Rondon (32) im Kader stand. Maupay erzielte in Brighton die letzten drei Jahre im Schnitt neun Tore.

Am Deadline Day passte man dann nochmal den Kader im Mittelfeld an. Idrissa Gueye (32) kehrte nach drei Jahren PSG zurück zu den Toffees, James Garner (21) kam von Manchester United. Zusammen kosteten die beiden 17 Millionen Euro. Andre Gomes (29) verlieh Everton nach Lille.

Frank Lampard – Im Abstiegskampf perfekt aufgehoben

Am 31.01.2022 übernahm Frank Lampard (44) den Trainerposten von Rafael Benitez (62). Es ist erst die dritte Trainerstation des Engländers. Er begann 2018 seine Trainerlaufbahn, als er mit Derby County einen durchaus überraschenden sechsten Tabellenplatz in der zweiten englischen Liga erreichte. Nach nur einer Saison wechselte er zum Chelsea FC.

Als Spieler verbrachte Lampard 13 Jahre bei den Blues, in denen er ebenso viele Titel gewinnen konnte, darunter drei Meisterschaften und 2012 die Champions League. Obwohl Lampard als Vereinslegende deutliche Vorschusslorbeeren bei Fans und Verantwortlichen genoss und in der ersten Saison trotz Transfersperre durchaus gute Arbeit leistete, wurde er nach eineinhalb Jahren entlassen. Nun ist er also bei den Toffees als Übungsleiter verantwortlich. In der vergangenen Saison zeigte Lampard, dass er mit seiner emotionalen Art genau der richtige Trainer für den Abstiegskampf ist.

Taktisch spielen die Toffees in dieser Saison wie bei Coady bereits angesprochen mit einer Dreier- respektive Fünferkette. Coady bildet das Herzstück, neben dem gelernten Mittelfeldspieler und starkem Aufbauer agieren zwei klassische Abräumer. Allzu viel aufzubauen gibt es allerdings nicht bei Everton. Die Mannschaft kommt sehr über den Kampf und weniger über das spielerische. Entsprechend hat man mit nur 42,6% den drittwenigsten Ballbesitz der Liga.

Von den Pässen sind überdurchschnittlich viele lang, nämlich 19%. Zum Vergleich, Liverpool liegt mit 17,6% im Tabellenmittelfeld. Gegen den Ball ist Everton in Phasen durchaus aggressiv. Man presst durchschnittlich oft, die Erfolgsquote in Pressing-Situationen liegt mit 36,9% sehr hoch. Klappt das Pressing jedoch nicht, ist Everton extrem offen. Bereits zwei Tore kassierte man bei gegnerischen Kontern.

Es wird wieder eine schwere Saison

Der Saisonbeginn war alles andere als gut. Gegen Chelsea FC (0:1) und Aston Villa (1:2) gab es knappe Niederlagen nach großem Kampf, gegen Nottingham Forest holte man dank eines späten Ausgleichs (88.) durch Demarai Gray (26) zumindest den ersten Punkt der Saison (1:1).

Auch gegen die anderen direkten Konkurrenten, gegen die Everton bisher gespielt hat, namentlich Brentford FC und Leeds United, gab es jeweils ein 1:1-Unentschieden. Spielerisch was man auch diesen beiden Mannschaften unterlegen. Dennoch sind die Ergebnisse ein Stückweit ärgerlich, da man jeweils durch Shootingstar Anthony Gordon (21) in Führung gegangen war. Mit nur drei Punkten nach fünf Spielen steckt Everton bereits jetzt wieder knietief im Abstiegskampf.

Prognose

Everton wird versuchen, dem LFC das Leben durch Aggressivität und gute Arbeit gegen den Ball so schwer wie möglich zu machen. Offensiv ist wenig von der Mannschaft zu erwarten, hier verlässt sie sich sehr auf Einzelaktionen. Geht es jedoch mal mannschaftlich geschlossen nach vorne, sind vor allem die offensiven Außenverteidiger zu beachten, die sehr starke Flanken schlagen können.

Defensiv ist die Kombination aus kleinen, zweikampfstarken und wendigen Sechsern und den kantigen Innenverteidigern nur schwer zu überwinden. Am besten funktioniert dies, wenn man die eigenen Angreifer mit hohen Bällen schickt, bevor das Abwehrbollwerk sich formiert hat.

Was für die Toffees spricht ist, dass die Partie im Goodison Park stattfindet. Die letzten Jahre über holte Everton immer zu Hause mehr Punkte als auswärts, unter Lampard ist die Diskrepanz nochmal deutlich extremer geworden. Zu Hause holte man 18 Punkte, auswärts nur fünf.

Lukas Heigl / (Photo by Alex Livesey/Getty Images)