Liverpool-Fan Robin Wittwer erzählt von seiner Live-Erfahrung des Liverpooler Comebacks in der Europa League gegen Borussia Dortmund.

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Als Dejan Lovren im Europa League Viertelfinale in der Nachspielzeit vor dem Kop das 4:3 einköpfte, gab es absolut kein Halten mehr. Gibt es in der deutschen Sprache überhaupt Worte, um dieses Gefühl zu beschreiben? Wohl eher nicht. Ich war live dabei…

Vor dem Wahnsinn aber zuerst mal ein bisschen Kontext. Die Saison 2015/16 startete unter Brendan Rodgers nicht gut und die Liverpool-Fans machten sich schon darauf gefasst, wieder eine enttäuschende Saison zu erleben. Nach dem achten Spieltag und einem 1:1 im Merseyside Derby kam aber alles ganz anders. Rodgers wurde zur Erleichterung vieler entlassen – der Hangover von 2013/14 war immer noch zu spüren – und Jürgen Klopp als neuer Trainer geholt.

 (Photo by Andrew Powell/Liverpool FC via Getty Images)

Die Euphorie der Liverpool-Fans kannte keine Grenzen. Endlich hatte der LFC wieder einen Trainer von Weltformat mit ordentlich Charakter. Man hätte fast glauben können, Bill Shankly sei von den Toten wieder auferstanden.

In den ersten Monaten zeigte Klopps Mannschaft dann auch sehr positive Ansätze, wie zum Beispiel die Auswärtssiege gegen Chelsea, Man City sowie Southampton. Gleichzeitig manövrierte Klopp die Reds durch die Europa League Gruppenphase.

Im Frühling 2016 ging es dann in Europa um alles. Die Reds hatten keine realistische Chancen mehr, sich in der Liga für die Champions League zu qualifizieren, also war klar, dass man die Europa League gewinnen musste. Im Sechzehntelfinale wurde zunächst erwartungsgemäß der FC Augsburg eliminiert.

Im Achtelfinale wurde es dann mit Manchester United schon würziger. Aber auch Louis van Gaals Truppe wurde überraschend souverän ausgeschaltet.

Borussia Dortmund – Die alte Liebe

Dann kam das Viertelfinale und DIESES Spiel, das für immer im kollektiven Gedächtnis erhalten werden wird. Klopps alte Liebe, Borussia Dortmund, wurde den Reds zugelost. Zuerst ging es ins Westfalenstadion und das Rückspiel stieg in Anfield. Divock Origi brachte die Reds in Dortmund mit 1:0 in Führung, bevor Mats Hummels vor der Süd den Ausgleich erzielte. Das 1:1 war ein sehr gutes Resultat.

 (Photo by Clive Brunskill/Getty Images)

Eine Woche später in Anfield sollte Geschichte geschrieben werden und der Autor dieses Artikels kann sich noch an jeden Augenblick erinnern, denn ich stand im Block KN im damaligen „Centenary Stand“ direkt neben dem Kop.

Vor dem Spiel veranstalteten die Liverpool-Fans wie immer bei enorm wichtigen Spielen einen Bus-Empfang. Rauchbomben, Flares und Böller sorgten neben Flaggen und Schals für einen beeindruckenden Empfang. Die Bilder vor diesem Spiel sind ebenso legendär wie das Spiel selbst.

You’ll Never Walk Alone

Das YNWA war eines der besten, welches Anfield jemals gesehen hat. So inbrünstig wurde die Hymne selten gesungen. Die Euphorie wich aber schnell Ungläubigkeit, als Dortmund nach nur neun Minuten mit 2:0 in Führung lag. Ich dachte nur: Warum? Ganz Liverpool hat sich so lange auf dieses Spiel aufgegeilt, einen fantastischen Busempfang geliefert und jetzt ist schon alles vorbei? Das kann es nicht sein!

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Einige wenige verloren dann die Nerven. Ich sah, wie jemand direkt nach dem 0:2 wütend aus dem Kop herausstürmte. Für einige Momente war Anfield gelähmt und träge und konnte das eigene Schicksal nicht akzeptieren. Ist der Traum schon vorbei? Ist Klopps Wiedervereinigung mit dem BVB ein Reinfall?

Nicht so schnell. Anfield wäre nicht das legendärste Stadion der Welt, wenn nicht noch außergewöhnliches passieren würde. Die Halbzeit kam und das einzige, was die Liverpool-Fans tun konnten, war zu singen. Die Fans rappelten sich nochmals auf und sangen kurz vor Wiederanpfiff YNWA. Es lag etwas in der Luft. Das letzte Wort war hier noch nicht gesprochen. Wenn Anfield am Boden liegt, steht es wieder auf und kämpft. Wer elf Jahre zuvor die damalige Milan-Mannschaft noch überraschen konnte, kann auch den BVB überwältigen.

 (Photo credit should read OLI SCARFF/AFP via Getty Images)

Und die zweite Halbzeit begann genauso, wie es sein musste: In der 48. Minute erzielte Origi nach Vorlage Emre Cans den 1:2 Anschlusstreffer. Die Reds spielten auf den Kop zu, was wohl der entscheidende Faktor war. Anfield schöpfte Hoffnung und zeigte mit dem Ring of Fire, also den rotierenden Schals, eine beeindruckende Show. De-De-De-De-De De-De-De

 (Photo by Andrew Powell/Liverpool FC via Getty Images)

In der 57. Minute kam aber abermals der Rückschlag. Marco Reus brachte den BVB wieder mit zwei Toren in Führung – 1:3 aus Sicht der Reds. Das war es jetzt aber sicherlich?

Anfield fiel wieder in Lethargie und haderte. Die Initialzündung kam dann aber in der 66. Minute durch Philippe Coutinho, der einen wunderschönen Schlenzer an Weidenfeller vorbei in das Kop-Tor schoss – nur noch 2:3. Jetzt war endgültig Feuer drin und Anfield begann Anfield zu sein. Der Kop machte seinem Namen alle Ehre und wurde zum ohrenbetäubenden wütenden Mob, der die Liverpool-Tore förmlich einsaugte.

Ich habe so etwas noch nie gehört und werde es sehr wahrscheinlich auch nie mehr. Meine Stimme war schon lange extrem heiser, aber das war mir komplett egal. Die Redmen brauchten jede einzelne Kehle. „Fields of Anfield Road“ wurde einige Male hintereinander die Ehre gegeben.

Dann kam die 77. Minute. Ecke für Liverpool durch Coutinho beim Eck Kop/Centenary Stand. Coutinhos Ecke war eigentlich nicht gut, sie kam aber trotzdem bis zu Mamadou Sakho durch und der damalige Kultheld köpfte zum 3:3 ein. Liverpool war aufgrund der Auswärtstorregel immer noch ausgeschieden.

Diese 77. Minute wird mir immer in Erinnerung bleiben, denn nach dem Tor schaute ich auf die Anzeigetafel und sah, dass ohne Nachspielzeit noch 13 Minuten zu spielen waren. 13 verdammte Minuten für ein Tor. Anfield, inklusive ich, hatten schon lange den Nachbrenner gezündet, was die Energie anging, die Reds nach vorne zu singen. Neben dem Kop standen auch sämtliche unteren Ränge Anfields, denn jetzt war nicht die Zeit zum Sitzen, sondern die Reds nach vorne zu treiben.

(Photo by John Powell/Liverpool FC via Getty Images)

Liverpool attackierte wie die Feuerwehr, lange kam aber keine Erlösung. In der ersten Minute der Nachspielzeit hatten die Reds einen Freistoß im Mittelfeld. Alle Spieler warteten im Strafraum und erwarteten James Milners Flanke, die jedoch zunächst nicht kam. Er spielte den Ball überraschenderweise flach auf Sturridge, welcher den Ball nur ungenügend kontrollieren konnte. Dann spielte er aber den Ball weiter auf den aufgerückten Milner, welcher dann von rechts unbehelligt flanken konnte. In der Mitte wartete Lovren und köpfte ein. 4:3!

Die folgenden Momente sind unmöglich zu beschreiben. Vielleicht wie der erste Kuss, das erste Mal, der erste Lohn und die erste Reise zusammen – mal tausend. Ich konnte mich nicht halten und segelte drei Sitzreihen nach vorne, genauso wie einige neben mir und viele im Kop. Purer Orgasmus in Anfield. Diese European Night kann es definitiv mit allen anderen aufnehmen.

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Die Reise endete danach im Europa League Finale von Basel. Dennoch war 2015/16 eine denkwürdige Saison, in der Klopp den Grundstein für die heutige Liverpool-Mannschaft legte.

 (Photo by Clive Brunskill/Getty Images)

Geschrieben von Robin Wittwer/Artikelbild: Clive Brunskill via Getty Images