Vor 57 Jahren spielte Liverpool schon mal gegen Inter Mailand. Bis heute bleibt diese Partie in sehr zweifelhafter Erinnerung bei den Reds.

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Im Jahr 1959 übernahm Bill Shankly das Traineramt beim Liverpool FC und legte das Fundament für den heutigen Verein. Es war quasi die Stunde Null der Liverpooler Zeitrechnung, in der alles begann. In nur drei Spielzeiten brachte ‚Shanks‘ die maroden Reds aus der Irrelevanz der zweiten Liga in die First Divison. Nochmals zwei Jahre später und Liverpool war endlich wieder englischer Meister – der Beginn einer neuen Epoche.

Zu Shanklys Zeiten war allerdings der FA Cup wichtiger als die Liga und so unglaublich das klingen mag, hatten die Reds bis 1965 noch nie den FA Cup gewonnen. Das änderte sich am 1. Mai dieses Jahres, als Liverpool im Wembley gegen Leeds United sich zum ersten Mal FA Cup-Sieger nennen durfte. Die Freude darüber war riesig, nicht zuletzt, weil sich der Stadtrivale Everton immer wieder lustig darüber machte, dass Liverpool noch keinen Cuptitel gewonnen hatte. Diese Last war also endlich nicht mehr auf den Schultern der Reds.

Liverpool gegen Inter im Europapokal-Halbfinale

1964/65 war Liverpool zum ersten Mal für den Europapokal qualifiziert – damals nahmen nur die jeweiligen Landesmeister teil. Auch wenn dieser Wettbewerb absolutes Neuland war, schlugen sich die Reds sehr gut und erreichten das Halbfinale, wo sie Inter Mailand zugelost wurden.

Die Italiener waren eine der besten Mannschaften Europas und Titelverteidiger. Trotzdem glaubten die Reds mit Legenden wie Roger Hunt, Ian St. John oder Ron Yeates an ihre Chance.

Das Hinspiel in Anfield fand nur drei Tage nach dem Sieg im FA Cup statt und alle im Liverpooler Umfeld waren noch total euphorisiert von diesem Triumph. Shankly entschied sich deshalb, vor dem Spiel die Trophäe dem Spion Kop zu präsentieren.

Der Spion Kop von 1965 und der heutige Kop sind derweil zwei verschiedene Welten – damals standen 30.000 ohrenbetäubende Scouser dicht gedrängt aneinander und konnten auch die härtesten Jungs mit ihrer Lautstärke einschüchtern. Als dann die Liverpool-Spieler die Trophäe vor dem Spion Kop präsentierten, eskalierte dieser in einer unglaublichen Lautstärke. Die Liverpool-Fans tobten und machten sich für das bevorstehende Spiel warm. Währenddessen wussten die Inter-Spieler nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollten.

Die Reds nahmen diese Energie mit und schlugen Inter mit 3:1. Es war eine fantastische Leitung und die erste legendäre Anfield European Night – es sollten noch viele mehr folgen. Zuerst musste aber der Job in Mailand zu Ende gebracht werden.

Feindseliger Empfang in Mailand

Den Italienern schmeckte diese Niederlage hingegen gar nicht. Vor dem Rückspiel im San Siro starteten die italienischen Medien eine regelrechte Schlammschlacht. Liverpool wurde von den Gazetten in den Dreck gezogen.

Als die Reds am Mailänder Flughafen ankamen, wurden sie als „Mörder“ und „wilde Tiere“ beschimpft. Zudem machte das falsche Gerücht die Runde, dass Liverpool das Hinspiel gewann, weil sie Pillen genommen hätten.

Genauso wie eine Woche zuvor in Anfield kreierten die Inter-Fans eine ohrenbetäubende Atmosphäre. Bill Shankly beschrieb das San Siro als feindselig, damit musste Liverpool aber leben. Inter erlebte im Hinspiel den Spion Kop in Höchstform, nun musste Liverpool den San Siro über sich ergehen lassen. Von Signalraketen, Polizeisirenen und Rauchpetarden war alles dabei. Bill Shankly beschrieb in seiner Autobiografie die Szenen wie folgt:

„Es gab keine Freude im San Siro. Den Inter-Fans wurde gesagt, dass sich die Liverpool-Fans in Anfield wie Tiere verhalten hätten. Was haben sie aber erwartet? Wir gewannen zum ersten Mal den FA Cup und es war die beste Nacht unseres Lebens.“

Skandalöse Schiedsrichterentscheidungen

Schon nach neun Minuten führte Inter mit 2:0 und konnte so die 1:3 Niederlage aus dem Hinspiel wettmachen. Die Auswärtstorregel wurde erst in der nachfolgenden Saison eingeführt. Vor allem das 1:0 brachte Liverpool in Rage. Inter hatte einen indirekten Freistoß kurz vor dem Strafraum, Mario Corsos Schuss landete allerdings direkt im Liverpooler Tor.

Nicht einmal 60 Sekunden später stand es 2:0. Liverpools Torhüter Tommy Lawrence hatte einen gefährlichen Inter-Angriff eigentlich schon geklärt und hielt den Ball mit beiden Händen fest. Joaquín Peiró stocherte trotzdem nach, wodurch er Lawrence denn Ball entwenden und ungestört einnetzen konnte.

Shankly war vor allem über das zweite Tor entsetzt und sagte nach dem Spiel: „Auf dem Kontinent schützen die Schiedsrichter normalerweise die Torhüter, vor allem in Italien“, so der Schotte. „Dieser spanische Schiedsrichter hat Lawrence nicht geschützt. Er ließ Peiró unseren Torhüter von hinten kicken“.

Auch am anderen Ende des Spielfeldes gab es eine kontroverse Entscheidung zuungunsten Liverpools. Ian St John erzielte das 1:2, welches aber wegen einer angeblichen Abseitsposition aberkannt wurde. „Ich weiß nicht, was das Vergehen hätte sein sollen“, so der legendäre Stürmer.

Liverpool verlor am Ende mit 0:3 und schied im Halbfinale aus. Inter hingegen verteidigte seine europäische Krone gegen Benfica Lissabon.

Wurde das Spiel geschoben?

Mehrere Dinge zeigen in eine unangenehme Richtung. Italo Allodi, damals Inters Sekretär, wurde mehrfach verdächtigt, über seine ganze Karriere in Betrugsskandalen beteiligt gewesen zu sein. Der notorische Spielbetrüger Dezső Solti soll ebenfalls seine Hände im Spiel gehabt haben.

1966, also nur ein Jahr nach dem skandalösen Liverpool-Spiel, soll Solti vor dem Halbfinale gegen Real Madrid dem Schiedsrichter György Vadás „fünf, sechs Mercedes-Autos“ offeriert haben, damit er zugunsten Inters pfeift. Vadás lehnt allerdings ab und Inter schied gegen Real aus.

In dieser Periode dominierte Inter den europäischen Fußball und auch im Halbfinale 1964 gegen Borussia Dortmund soll es zu sehr eigenartigen Entscheidungen gekommen sein.

Ortiz de Mendibil, welcher die Partie Inter gegen Liverpool leitete, gab niemals zu, in einem Betrug involviert gewesen zu sein. Obwohl es keine wasserdichten Beweise gibt, zeigen die Hinweise eindeutig Richtung Spielbetrug.

„Was im Rückspiel des Halbfinales im San Siro geschah, ist Betrug“, so der legendäre Liverpool-Spieler Tommy Smith in einer Kolumne aus dem Jahr 2007. Smith stand für Liverpool auf dem Feld.

„Die Italiener haben nicht gewonnen, der Schiedsrichter hat die Partie für sie gewonnen und die einzige Überraschung war, dass er von ihnen nicht auf den Schultern aus dem Stadion getragen wurde“.

Shankly gab später zu, dass diese Niederlage das größte Versäumnis seiner Karriere gewesen sei. So erfolgreich er auch war, konnte er mit Liverpool nie den Europapokal der Landesmeister gewinnen. Trotzdem hinterließ er ein Vermächtnis, welches bis heute nachhallt und ohne welches der moderne LFC an einem komplett anderen Ort wäre.

(Photo by Marco Luzzani/Getty Images)

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In der Zwischenzeit gewann Liverpool sechs Europapokale bzw. Champions League-Titel. Inter hat nur halb so viele Trophäen und die Reds werden am Dienstag nach dem 2:0-Sieg im Hinspiel mit viel Selbstvertrauen in das Rückspiel in Anfield gehen. Die Lautstärke des Kops wird dank des Gewinns des League-Cups vor einer Woche vielleicht wie 1965 sein, nur der sportliche Betrug wird hoffentlich fernbleiben.

Geschrieben von Robin Wittwer | Artikelbild: Central Press/Hulton Archive/Getty Images