Analyse | Am Sonntag geht es für den Liverpool FC am vierten Spieltag der Premier League zu Leeds United und deren Trainer Marcelo Bielsa.

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Die Whites kehrten im Sommer 2020 nach 16 langen Jahren in den Niederungen des englischen Fußballs endlich zurück in die Premier League. Bereits nach einem Jahr wirkt Leeds wie ein etabliertes Team. Vergangene Saison landete man auf einem guten neunten Platz. Der Manager Marcelo Bielsa (66) ist dabei einer der wichtigen Architekten des Erfolgs.
Den Kader weiter verbessert
Nachdem letztes Jahr über 100 Millionen Euro investiert wurden, gaben die Whites auch in diesem Sommer ordentlich Geld aus. Insgesamt fast 60 Millionen Euro. Die erste elementare Verpflichtung war die von Jack Harrison (24). Der Außenbahnspieler war in den letzten beiden Saisons von Manchester City geliehen und konnte nun fest verpflichtet werden. In seiner ersten Saison in der Premier League lieferte der Engländer acht Tore und acht Vorlagen ab.
Neben Harrison wurden zwei weitere potenzielle Stammspieler verpflichtet. Junior Firpo (25) kam vom FC Barcelona. Für die Dienste des Linksverteidigers musste Leeds 15 Millionen nach Spanien überweisen. Der Königstransfer wurde erst am Deadline-Tag eingetütet. Flügelspieler Daniel James (23) schlug bei den Whites auf.

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Den Waliser wollte Bielsa bereits 2019 verpflichten. Damals war eigentlich alles geregelt, der Medizincheck war absolviert, sogar die Bilder für die Vorstellung waren im Kasten. Doch dann funkte Manchester United dazwischen und schnappte Leeds den Spieler vor der Nase weg. Nun kommt es nach zwei Jahren Verspätung also doch noch zur Zusammenkunft von James und Bielsa. 29 Millionen Euro ließ Leeds sich diese kosten.
Mit Ezgjan Alioski (29), Pablo Hernandez (36) und Helder Costa (27) verließen drei Spieler den Verein, die letzte Saison halbwegs regelmäßig auf dem Platz standen. Alioski und Hernandez verließen den Verein ablösefrei, Costa wurde nach Valencia verliehen. Vor allem der Abgang von Mentalitätsspieler Alioski, der nach Saudi-Arabien ging, dürfte die Verantwortlichen geschmerzt haben.
Pressing und Ballbesitz als Markenzeichen
Defensiv jagt Leeds den Gegner nach Ballverlusten über den gesamten Platz. Grundlage ist die sogenannte „Bielsa Press“, ein extremes Pressing-System, in dem alle Spieler mitarbeiten müssen. Das Pressing zeichnet sich durch Momente aus, in denen bis zu sieben Spieler einen Gegner jagen. So möchte man den Spielaufbau des Gegners schon im Keim ersticken.
Konnte durch dieses Pressing ein schneller Gegenangriff verhindert werden, spielt Leeds die sogenannte „Manndeckung + 1“. Das bedeutet, dass jeder gegnerische Spieler manngedeckt wird und entsprechend auch aus der Position heraus verfolgt wird. Einzige Ausnahme ist einer der gegnerischen Innenverteidiger. Dafür hat man selbst einen freien Verteidiger, der defensiv die Lücken stopft, sollten welche auftreten.

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Offensiv wird aus dem 4-1-4-1 System ein 3-3-1-3. Der defensive Mittelfeldspieler Kalvin Phillips (25) lässt sich hierbei zwischen die beiden Innenverteidiger fallen, um im Spielaufbau zu helfen. Mit Mateusz Klich (31) oder Stuart Dallas (30) lässt sich einer der beiden eigentlich offensiven Mittelfeldspieler zwischen die beiden aufrückenden Außenverteidiger fallen. Der andere offensive Mittelfeldspieler agiert zwischen den Linien, um den Ball von den aufbauenden Spielern hin zu den offensiven Spielern zu bringen. Diese Aufgabe übernehmen zumeist Rodrigo (30) oder Tyler Roberts (22).
Marcelo Bielsa – Der größte Theoretiker unserer Zeit
Marcelo Bielsa. Dieser Name löst bei den meisten Fachleuten Gänsehaut aus. Es gibt wohl niemanden, der seit Johann Cruyff den Fußball so sehr durchdacht und verstanden hat wie der Argentinier. Ihm beim Philosophieren über den Fußball zuzuhören ist eine helle Freude. Nicht umsonst nennen ihn Welttrainer wie Pep Guardiola (50) und Mauricio Pochettino (49), wenn sie nach ihrem Vorbild gefragt werden.
Vor allem auf Guardiola hat er einen extremen Einfluss. Bevor Guardiola seine Trainerkarriere begann, besuchte er Bielsa auf dessen Ranch. Aus einem kleinen Austausch wurde eine elfstündige Taktikschulung. „Er ist der beste Trainer der Welt. Wer ein Trainer werden will, muss vorher mit ihm geredet haben.“, so adelte Guardiola „El Loco“, den Verrückten, wie er genannt wird.

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Bielsa hat in seiner Zeit in Argentinien sämtliche jungen Talente des Landes selbst gescoutet und in einem Aktenordner kategorisiert. Dafür reiste er monatelang durch das ganze Land. Den jungen Pochettino klingelte er beispielsweise nachts um zwei Uhr aus dem Haus, um ihm nur anhand seiner Beine eine große Karriere zu prophezeien. Nach eigenen Aussagen verbringt er selbst den Weihnachtstag damit, Videos über kommende Gegner zu studieren.
Spiongate und absichtliches Gegentor
Großes Aufsehen erregte auch das sogenannte „Spiongate“. Es wird behauptet, Bielsa habe einen Mann als Co-Trainer verkleidet bei Derby County in den Trainingsbetrieb eingeschleust. Der Spion sollte Informationen über den kommenden Gegner sammeln. Eine weitere kuriose Geschichte machte Schlagzeilen, als er seine Spieler anwies den Gegner Aston Villa in einem Spiel ein Tor erzielen zu lassen. Grund dafür war, dass sein Team ein Tor erzielte, obwohl ein gegnerischer Spieler verletzt auf dem Boden lag.

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Wie sehr Bielsa den Fußball durchdrungen hat, sieht man auch daran, dass er sämtliche Möglichkeiten, wie Spieler auf Situationen reagieren können, erfasst hat. So gibt es laut ihm 29 verschiedene Formationen, 17 defensive Spielweisen, 26 mögliche Bewegungen, mit denen ein Verteidiger seinem Gegenspieler den Ball abnehmen kann, fünf Wege, sich aus der Deckung eines Gegenspielers zu befreien und 36 verschiedene Arten, wie Spieler über Pässe miteinander kommunizieren können.
Noch nicht in der Saison angekommen
Nach der starken ersten Saison haben die Whites noch große Probleme, in diesem Jahr die Leistung abzurufen. Nach drei Spielen stehen erst zwei Punkte zu Buche. Der Grund liegt auf der Hand: die Europameisterschaft im Sommer und die damit einhergehende kaum vorhandene Vorbereitung. Bielsas System benötigt extrem viel Training, die Spieler müssen perfekt aufeinander abgestimmt sein. Da mit Phillips (England), Klich (Polen), Cooper (Schottland), Roberts (Wales), Robin Koch (25) und Diego Llorente (28) etliche Spieler mit ihren Nationalmannschaften unterwegs waren, kann diese Abstimmung nicht gegeben sein.
Und so ist es fast folgerichtig, dass Leeds mit bereits acht Gegentoren die drittschlechteste Abwehr der Liga stellt. Am ersten Spieltag wurde man von Manchester United nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen, die Abstände waren beim 1:5 viel zu groß. Dass mit Phillips der Schlüsselspieler geschont wurde, tat sein Übriges. In den beiden anderen Spielen gegen den Everton FC (2:2) und den Burnley FC (1:1) sah es zwar etwas besser aus, doch gerade gegen Burnley ließ man die so typische dominante Spielweise über weite Strecken vermissen.
Prognose
Gegen das Pressing klarzukommen wird für Liverpool entscheidend sein. Dafür bedarf es vor allem im Mittelfeld die entsprechenden Spieler. Gelingt es den Reds, das Pressing auszuhebeln, ist Leeds durchaus anfällig. Die Angreifer dürften genug Platz bekommen, um Tempo aufnehmen zu können. Die offensiven Außenverteidiger Liverpools werden ihre Räume bekommen um gefährlich ins Spiel eingreifen zu können.
Auch zu packen sind die Whites bei Standards. Mit 15 Gegentoren stellte man letzte Saison eine der schwächsten Defensiven der Liga in diesem Bereich. Durch die Fokussierung auf den läuferischen Aspekt sind die meisten Spieler im Kader eher kopfballschwach. Auch die mannorientierte Verteidigung von Ecken hilft dabei wenig.
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Offensiv sind bei den Whites nahezu alle Spieler gefährlich. Da Raphinha (24) als Brasilianer für das Spiel womöglich gesperrt ist, werden wohl Harrison und James die Außenbahnen bilden. Beide sind technisch hervorragend ausgebildet, Neu-Nationalspieler Patrick Bamford (28) macht gefühlt aus einer halben Chance ein Tor. Dazu hat sich vor allem Dallas zu einer sehr potenten Offensivwaffe entwickelt. Der eigentliche Linksverteidiger agiert vermehrt im zentralen Mittelfeld und kam letzte Saison auf starke acht Saisontore.