Der Fußballgott sitzt im Himmel und weint. Sir Matt Busby, Bill Shankly und Ernst Kuzorra liegen sich in den Armen und weinen. Und ich? Ich liege auf meinem Sofa und weine auch. Alleine.
Kommentar geschrieben von Ulrich Aßmann, geschätztes Mitglied der Redmen Family.
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Der 19.04.2021 brennt sich gerade in mein Gedächtnis ein, als einer der traurigsten Tage meines Lebens. Nichtmal Trennungen, so schwer sie mir fielen, haben mich so tief getroffen wie der heutige Tag. So habe ich mich zuletzt gefühlt als meine Oma dahinschied. Überhaupt: Meine Oma ist ein guter Vergleich. Ich habe mich über meine Oma fast so häufig aufgeregt, wie ich mich darüber freute, sie zu sehen. Sie hatte so eine Art, die Menschen vor den Kopf zu stoßen und zu provozieren, die für viele, mich eingeschlossen, manchmal schwer zu ertragen war.
Es war eine Hassliebe. Aber am Ende blieb der Hass auf der Strecke, die Liebe zu Oma gewann immer die Oberhand. Dann starb sie. Die letzte große Provokation. Ich bin immer fest davon ausgegangen, dass Oma über hundert wird. Erstens war ihre Mutter schon sehr alt geworden, zweitens war Oma relativ rüstig und außerdem sagt ja schon die Redewendung: Unkraut vergeht nicht. Ich hatte sie länger nicht besucht, da ich immer einen Grund fand, es nicht zu tun. Dabei wollte ich ihr noch so viel erzählen, sie so vieles Fragen, aber sie hat mich einfach im Stich gelassen. Alleine.

Genau so geht es mir heute. Ich fühle mich in meinen Grundfesten erschüttert und im Stich gelassen. Der moderne Fußball stößt auch gerne Menschen vor den Kopf und provoziert, bis man sich fragt, wieso man überhaupt noch einen Gedanken an das nächste Spiel verschwendet. Jahrzehntelang wurde es schlimmer und schlimmer. Gleichzeitig langweiliger und langweiliger. Und nur Liverpool war mein Fels in der Brandung.
Von George Gillett und Tom Hicks benutzt und herabgewirtschaftet, seit vielen Jahren vergeblich auf eine Meisterschaft wartend. Ein schlafender Riese, dessen Fans und Umfeld alles verkörpern, was mir am Fußball gefällt. Ich konnte Fan sein. Ich hatte Millionen von Familienmitgliedern auf der ganzen Welt. Überall waren Menschen, die meine Leidenschaft teilten, meine Ansichten über den Fußball und die ganze Welt. „You’ll Never Walk Alone“ war nicht nur ein Motto, sondern ein Credo. Man steht zusammen füreinander ein und lässt sich nicht im Stich.
Dann kam Jürgen Klopp und der Riese erwachte. Nicht urplötzlich, sondern langsam und leicht verwirrt, als wenn er gerade tagsüber ein kurzes Nickerchen machen wollte und erst am späten Abend erwacht. Um kurz vor zwölf, wie man heute sieht. Liverpool wurde stetig besser, aber scheiterte glorreich. Im Europa League Finale, im Champions League Finale in der Premier League. Dann der Befreiungsschlag. Ein 3:0 gegen Barcelona im Halbfinal-Hinspiel 2019 wurde im Rückspiel überwunden. Das Finale gegen Tottenham war Formsache.

Die pure Euphorie! Danach folgten Monate des Rausches, Liverpool eilte von Sieg zu Sieg. Dass ich von diesen Siegen selten einen live verfolgte, fiel mir im Siegesrausch gar nicht auf. Dass ich generell kaum noch Wert auf Fußball legte und schon lange andere Sportarten wie American Football in der Prioritätsliste weiter oben waren, fiel mir im Siegesrausch gar nicht auf. Dass mir die Zwiesprache mit anderen Fans wichtiger war als das Fußballspiel selbst, fiel mir im Siegesrausch gar nicht auf.
Was mir auffiel, war mein Ärger über den modernen Fußball außerhalb meiner Wohlfühloase. Die Bundesliga wurde immer langweiliger und große Konzerne stärkten ihren Würgegriff auf den deutschen Fußball. Die Transfersummen in Europas Topligen wurden immer absurder und die Gehälter überstiegen jede Vorstellungskraft. Plötzlich waren die viele Teams nur noch Werbetafeln für arabische Monarchien, die die Werbung für den Tourismus brauchen, sobald das Geld aus dem Verkauf von Erdöl wegbrechen wird. Und die raffgierigen Funktionäre machen mit.
Aber nicht Jürgen Klopp! Er hat all das immer angesprochen. Er hat als Aushängeschild des LFC all die unangenehmen Themen zur Sprache gebracht, die auch mich störten. Obwohl er genau dafür garnicht bezahlt wird. Klopp schafft es, den Spagat zwischen Werbeikone und Volksversteher.

Er hielt nicht viel von den Absurditäten des Fußballs und machte scheinbar nur notgedrungen mit.
Er hielt nicht viel von Populisten, die plötzlich Wahlen gewannen.
Er hielt nicht viel davon, seine Meinung zurückzuhalten, wenn er eine Ungerechtigkeit auch klar ansprechen konnte.
Und jetzt das. MEIN LFC gründet die Super League. Mein Verein, mein Liverpool, mein Don Quijote, mein David, mein Robin Hood, meine Résistance, meine Sophie Scholl verrät alles, wofür ich den Fußball liebe. Die Gemeinschaft, die Leidenschaft, die Bereitschaft, für ein gemeinsamen Ziel hart zu arbeiten. Die ungerechten Verluste, die glücklichen Siege und unglücklichen Niederlagen. Die aufopfernden Kämpfe der Underdogs gegen die vermeintlich sicheren Sieger.
Manchester United, Manchester City, Tottenham Hotspur, Chelsea, Arsenal, FC Barcelona, Real Madrid, Club Atlético de Madrid, Internazionale, AC Milan, Juventus Turin. Die Alphatiere des verhassten modernen Fußballs haben ihre Maske abgenommen. Und mein LFC ist dabei. Auch und gerade sie haben ihre Maske abgenommen und gezeigt: Liverpool, this means nothing. Achja, und Schalke steigt ab. Mehr als verdient nach den vielen Jahren und für den deutschen Fußball dennoch nur ein weiterer Sargnagel.
Und doch ist noch Hoffnung da. Die Hoffnung, dass wieder alles anders kommt. Dass Fans und Medien und die Fußballverbände sehen, was dort passiert ist. Dass sie nur im Schulterschluss den Tod unseres Fußballs verhindern können. Dass die Fans und Medien die Super League boykottieren, die Fußballverbände die entsprchenden Vereine und Spieler ausschließen. Dass der Fußball sozialistischer wird, und demokratischer. Dass die Menschen sich den Fußball zurückholen. Dass Schalke wieder Vizemeister wird. Dass eines Tages die Fans von Liverpool und United zusammen im Pub stehen, ihren neugegründeten Clubs in der zehnten Liga zujubeln und sich gegenseitig zuprosten, weil sie gemeinsam das schlimmste verhindert haben. Dass am Ende des Sturms ein goldener Himmel ist und die Lerche ihr süßes, silbernes Liedchen trällert.
Und der Fußballgott sitzt im Himmel und weint. Matt Busby, Bill Shankly und Ernst Kuzorra liegen sich in den Armen und weinen. Und ich? Ich werde wieder aufrecht gehen. Natürlich nicht alleine.
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Enough is Enough. Fenway Super Greed Out. Stop The Super League.
This means nothing.