Die Erinnerungen an das Champions-League-Finale 2018 in Kiew sind für viele kaum verblasst, jedoch aus den unterschiedlichsten Gründen. Die Niederlage gegen Real Madrid setzte damals zwar einen weiteren Grundstein für den Erfolg Liverpools in den kommenden Jahren, doch die Geschehnisse auf dem Platz hinterlassen bis heute zumindest bei den Fans Narben.

Es dauerte Wochen bis nach der Final-Niederlage, dass Jürgen Klopp noch einmal offen über die Geschehnisse sprach. Auf der Sommertour der Reds durch die USA stellte er sich den mitgereisten Liverpooler Journalisten für Interviews.

Klopp brandmarkte dabei Sergio Ramos als „brutalen Wrestler“ und beschuldigte den Kapitän der Madrilenen absichtlich Mohamed Salah außer Gefecht setzen zu wollen. Nach einer halben Stunde verließ der Ägypter, der in der Saison 44 Tore erzielte weinend den Platz. Ramos keilte den Arm des Stürmers ein und Riss ihn absichtlich zu Boden. Bis heute für viele unbegreiflich, wie der Schiedsrichter diese Tat ungestraft durchgehen ließ.

Klopp machte Ramos auch persönlich für Loris Karius‘ „Leistungsproblem“ verantwortlich. Natürlich ließ er auch kein gutes Haar an Milora Mazic, dem damaligen Schiedsrichter, der nicht den „nötigen Mut“ hatte in dem Spiel hart durchzugreifen und Ramos vom Platz zu stellen.

Wenige Minuten, nachdem Karius mit voller Wucht den Ellbogen von Ramos abbekommen hatte, rollte er den Ball direkt in den Lauf von Karim Benzema, der zum 1:0 traf.

Klopp erklärte den Journalisten, dass er vier Tage nach dem Finale einen Anruf von Franz Beckenbauer erhielt. Der „Kaiser“ erzählte ihm, dass der Bayern-Arzt Müller Wohlfahrt fest davon überzeugt war, dass Karius durch den Schlag von Ramos eine Gehirnerschütterung erlitt.

Loris Karius, der zu diesem Zeitpunkt schon von allen Medien und großmäuligen Spieler-Kommentatoren wie Oliver Kahn angegriffen und zerrissen wurde, unterzog sich Tage später einer Untersuchung. Die Vermutungen bestätigten sich. Kaum Worte der Entschuldigungen danach – weder von Kahn, Liverpooler „Fans“ und den Medien.

Loris Karius‘ Karriere bei Liverpool war damit wohl beendet. Er hielt sich oftmals danach noch bedeckt. Selbst in einem Podcast von „Kicker Meets DAZN“ wurde das Thema kaum aufgegriffen. Warum eigentlich? Weil es tatsächlich nichts mehr bringt. Egal, was der Spieler oder Trainer sagt, es wird in den Medien verdreht, Fans belächeln die „Ausflüchte“, gegnerische Fans warten nur über solche Möglichkeiten, um dann noch mehr über andere Menschen herzuziehen. Es ist alles gerne nur Schwarz und Weiß. Kein Platz für Vergebung.


Kicker Meets DAZN mit Loris Karius

KIEV, UKRAINE – MAY 26: Loris Karius of Liverpool watches the ball cross the line as he concedes for the third time during the UEFA Champions League Final between Real Madrid and Liverpool at NSC Olimpiyskiy Stadium on May 26, 2018 in Kiev, Ukraine. (Photo by David Ramos/Getty Images)

Wir leben in einer endlosen Schleife aus beschämen, auslachen, aufzeigen von Fehlern und fehlender Empathie und „Whataboutismen“. Wer sich die Mühe macht und in das Jahr 2018 in den sozialen Medien zurückgeht, sieht wie empathielos und unfair Fußballfans in solchen Situationen reagieren. Wobei es eigentlich mittlerweile reicht zu Beiträgen über Loris Karius aus aktueller Zeit zu schauen. In den sozialen Medien wird gerne schnell vergessen, was es bedeutet ein Fan des Liverpool FC zu sein. Oder ein Mensch.

„Das ist eine Erklärung, keine Entschuldigung für das, was passiert ist“, betonte Klopp. „Loris wurde durch den Schlag beeinflusst! Zu 100 Prozent! Was der Rest der Welt daraus macht, ist mir egal.“ Und genau so handhabt es der Boss und Loris Karius.

„Die Welt da draußen akzeptiert, dass man jede Waffe einsetzt, um das Spiel zu gewinnen. Die Leute erwarten wahrscheinlich, dass ich auch so bin. Bin ich aber nicht.“

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So ist auch Liverpool nicht. Das ist nicht der „Liverpool Way“. Wer die Spiele der letzten Jahre, sogar noch vor Klopp verfolgt, sieht, dass eine grundlegende Haltung der Fairness im Team hoch anerkannt ist. Vor allem werden bewusste Verletzungen der Gegenspieler tunlichst vermieden. Ausnahmen, in denen Liverpool sehr hart spielte, sind meist die Derbys gegen United und Everton. Luis Suárez und Sterling waren allerdings hier die Ausnahmen. Seit Jahren ist Liverpool regelmäßig in den Top 5 der europäischen Fair-Play Listen.

Ramos gehört zu der Riege der Spieler, gegen die man als Team und auch die Fans ungern spielen. Dazu gehören auch Suárez, Neymar und viele andere Spieler, die mit Theatralik, Lamentieren und zu hohen Ellenbogen hantieren oder gerne mal die Lücken des Regelwerks ausnutzen. Das gehört offenbar zum heutigen Fußball dazu.

Das kann man als Qualität auslegen oder aber auch als die negative Seite des Fußballs. Der beliebte Kontaktsport lebt von den Emotionen rund um das Spiel und auf den Platz, keine Frage. Wenn aber Gegner bewusst verletzt werden oder die Offiziellen bewusst beeinflusst werden, geht es zuweit. Ebenso, wenn die Wut oder blanker Hass gegenüber mitschwingt, wie wir das öfter erleben – nicht nur im Fall von Sergio Ramos.

Ramos guten Leistungen zwischen den bösen Fouls und roten Karten wird zu selten außerhalb Madrids gewürdigt. Woran das wohl liegen mag? Das sollte sich der Spieler auch selber einmal fragen. Ist er ein gutes Beispiel für kommende Generationen? Die Antwort ist leicht zu beantworten.

Es waren allerdings nicht nur Ramos‘ Eskapaden während des Spiels, die Fans, Spieler und Mitarbeiter von Liverpool verärgerten. Sein Verhalten in den Tagen danach zeigt wie eklig und schlecht dieser Spieler wirklich ist. Keine Reue oder dergleichen. Ramos beteuert seine Unschuld und lacht über die Vorwürfe. Er versucht sogar die Fakten zu verdrehen, wie dieses Foul geschah.

Dieses lächerliche Verhalten, welches hoffentlich kein Vorbild für irgendjemanden sein wird, sieht man öfter bei dem Spieler. Im Finale zuvor ist Ramos nach einer Schwalbe und überzogener Theatralik dafür verantwortlich, dass ein gegnerischer Spieler vom Platz gestellt wird. Eines von unzähligen Beispielen.

„(…) er hat zuerst meinen Arm gepackt und ich bin auf die andere Seite gefallen, die Verletzung ist am anderen Arm passiert und es wird behauptet, dass ich ihn mit einem Judo-Griff nach unten Riss. Nachdem der Torwart gesagt hat, dass er nach einem Schlag von mir benommen war, fehlt mir nur noch, dass Roberto Firmino sagt, dass er sich wegen eines Tropfens meines Schweißes erkältet hat.“ scherzte Ramos.

Bobby Firmino klärt die Situation sehr schnell. Der eher Presse-schüchterne Spieler bezeichnet Sergio Ramos offen als „Idiot“.

Doch es gibt zumindest ein kleines emotionales Happy End. Der damalige Liverpooler Verteidiger Dejan Lovren, ein enger Freund von Salah, gab später zu, dass er, als er sechs Monate nach Kiew für Kroatien gegen Spanien spielte, absichtlich Vergeltung suchte, indem er Ramos einen Ellbogenstoß versetzte.

„Ich respektiere Ramos als Spieler und was er für sein Team tut. Er hat viele Titel gewonnen.  Aber auf der anderen Seite legt er einige Verhaltensweisen an den Tag, die ich nicht mag und die den Spielern schaden“, sagte Lovren und erntet dafür Dank aus Liverpool.

„Ich will keine große Geschichte daraus machen, aber ich denke, dass das, was Ramos getan hat, absichtlich war, um meinen Freund zu verletzen, also war es an der Zeit, für das zu bezahlen, was er getan hat. Wir haben viel besser gespielt als Real Madrid, bevor sich Salah im Champions-League-Finale verletzt hat. Sein Ausscheiden war ein großer Schlag für uns.“

Nachdem Madrid durch Benzema in Führung ging, kam Liverpool zurück ins Spiel. Sadio Mané schoss den Ausgleich und ließ die Reds hoffen. Gareth Bale schoss daraufhin eines der schönsten Champions-League-Tore aller Zeiten. Sein Fallrückzieher war unhaltbar. Das 3:1 hätte ein Torwart halten können, aber tatsächlich geht es hier gar nicht mehr ums Spiel. Real Madrid hat am Ende gewonnen und Liverpool hat seine Chancen nicht mehr genutzt.

Harvey Elliott wurde im folgenden Sommer von Real Madrid umworben. Der junge Spieler sollte statt von Fulham zu Liverpool lieber nach Madrid wechseln. Der damalige Klubfunktionär bot dem Spieler und seiner Familie eine Tour durch das Bernabeu an mit Sergio Ramos. „Nein, schon gut, danke“, antwortete der lebenslange Liverpool-Fan Elliott, der mit seinem Vater Scott als Fan in Kiew gewesen war. „Ich mag ihn nicht, nachdem, was er mit Mo Salah gemacht hat.“ Touché.

Salah selbst äußerte sich selten über die Nachwirkungen. Einige Monate darauf bezeichnete er diese Nacht als die schlimmste seiner Karriere und befand sich lange Zeit in einem Zustand aus „Wut und Traurigkeit“. Salah konnte seiner Rolle für sein Land bei der kommenden Weltmeisterschaft nicht gerecht werden und fühlte lange Zeit die Enttäuschung über das frühe Ausscheiden. Wie fühlt er sich wohl aktuell, wenn er mit einem Wechsel zu Real Madrid in Verbindung gebracht wird?

MADRID, SPAIN – JUNE 01: Jurgen Klopp, Manager of Liverpool and staff celebrate victory with the trophy after the UEFA Champions League Final between Tottenham Hotspur and Liverpool at Estadio Wanda Metropolitano on June 01, 2019 in Madrid, Spain. (Photo by Clive Rose/Getty Images)

Seit dem Finale in Kiew hat sich viel verändert. 371 Tage später sind die Reds in Madrid und gewinnen das Finale gegen die Spurs. Es ist ihr sechster Titel des größten Triumphs im europäischen Fußball. Fast das komplette Team stand im Jahr zuvor in Kiew auf dem Podest als Verlierer. So ist das eben auch im Fußball. Mal gewinnt man, mal verliert man. Am Ende ist entscheidend, wie man darauf reagiert.

Die Spieler und das Trainerteam des Liverpool FC schauten sich im Vorfeld des 2019er Finales noch einmal die Bilder und Clips von Kiew an um sich zu motivieren. Die Niederlagen von 2018 und zuvor machten das Team nur noch stärker. In der Saison 2018/2019 spielte Liverpool den besten und attraktivsten Fußball in Europa. In der Saison 2019/2020 den erfolgreichsten, mit dem sie zumindest die stärkste nationale Liga dominierten und verdient den 19. Ligatitel holten.

Fast drei Jahre nach Kiew sollten sich nun Salah und Ramos wieder gegenüber stehen. Doch am 1. April gab der spanische Verteidiger und sein Klub bekannt, dass er Rüpel an einer Muskelverletzung leide und beide Spiele verpassen würde. Hoffentlich ist das kein großer Aprilscherz. Aber es hat auch etwas Gutes an sich.


Ekelhafte Titelseite – Vorläufiger Boykott von spanischen Liverpool-Fanclubs

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Im Endeffekt ist der Ausfall von Sergio Ramos ein Segen für diese Partie. Jetzt können sich Fans und Medien endlich wieder nur auf das Spiel konzentrieren. Liverpool hat aktuell einen guten Lauf. Die letzten Spiele zeigen einen starken Aufwärtstrend. Trotzdem sind die Reds leicht geschwächt. Wie auch die Mannschaft von Zinedine Zidane.

Liverpool wird sich sportlich Rächen. Keine Frage. Dabei sollte es auch bleiben. Und vielleicht verhilft es den spanischen Medien und vor allem den spanischen Fans wieder zu etwas mehr Demut und Fairness. Das Spiel wird mit Fuß, Kopf, Schnelligkeit, Taktik und Disziplin gewonnen. Und am Ende eben durch mindestens ein Tor mehr. Hohe Ellbogen, Wrestling-Einlagen und bewusst schwere Verletzungen gehören nicht dazu.


Legendäre Liverpool Spiele | Liverpool gegen Real Madrid 1981

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Jürgen Klopp, Loris Karius und Mohamed Salah haben sich damals korrekt verhalten. Sie haben der Niederlage und den Umständen Zeit gelassen. Und sie haben den sportlichen Erfolg für sich sprechen lassen. Und jeder Fußballfan sollte genau so in die beiden Partien zwischen Real Madrid und Liverpool gehen.

Die Erinnerungen an Kiew sollten aus Liverpooler Sicht nicht verblassen. Allerdings aus den richtigen Beweggründen. Am Ende ist aber eigentlich nur wichtig, dass das bessere Team Liverpool ins Halbfinale einzieht.