Analyse | Am Donnerstag empfängt der Liverpool FC im Topspiel des 29. Spieltags der Premier League den Chelsea FC. Die Gegneranalyse der Redmen Family.

Nachdem man im Jahr 2019 eine Transfersperre durch die UEFA absitzen musste, konnte man in diesem Sommer endlich wieder auf dem Transfermarkt tätig werden. Durch die fehlenden Ausgaben 2019 war mehr Geld da als sonst, was sich vor allem in der aktuellen Corona-Krise deutlich bemerkbar machte. Konnten die meisten großen Vereine kaum Geld ausgeben, profitierte Chelsea zum einen von der fehlenden Konkurrenz und zum anderen von den sinkenden Preisen.

Kader – Volle Offensive

Timo Werner (24), Ben Chilwell (24), Kai Havertz (21), Thiago Silva (36), Hakim Ziyech (27) und Edouard Mendy (29). Gleich sechs hochkarätige Spieler konnte man in diesem Sommer in den blauen Teil Londons lotsen. Dabei adressierte man mit den Neuzugängen die klar ersichtlichen Problemzonen der letzten Saison. Werner und Havertz sollen die mangelhafte Chancenverwertung aufbessern, Silva, Mendy und Chilwell die wackelige Abwehr verstärken. Silva soll zusätzlich mit seiner Erfahrung die jungen Nebenleute anführen. Mit Ziyech hat man einen Spieler, der vor allem durch seine Flanken aus dem Halbfeld auch defensiv orientierte Gegner sehr gut bespielen kann.

(Photo by GLYN KIRK/AFP via Getty Images)

Abgegeben wurde von den Spielern, die letzte Saison eine Rolle gespielt haben, lediglich Willian (32). Der Brasilianer wechselte ablösefrei zu Arsenal FC. Der bereits verliehene Alvaro Morata (27) wurde fest von Atletico Madrid verpflichtet. Durch die Neuzugänge ist der Kader auf nahezu allen Positionen breit besetzt. So könnte wohl auch die zweite Mannschaft der Blues um die europäischen Plätze in der Premier League mitspielen.

Thomas Tuchel – Fußballgenie mit schwierigem Charakter

„Er ist ein außergewöhnlicher Trainer. Ich bin sicher, dass er Erfolg haben wird. Ich bin froh, ihn hier in diesem Land zu sehen.“ Das waren die Worte keines Geringeren als Manchester City-Trainer Pep Guardiola (50), als am 26. Januar feststand, dass Thomas Tuchel (47) die Nachfolge von Frank Lampard (42) auf der Trainerbank der Blues übernehmen würde. Nur zu verständlich, dass Guardiola das sagt, ist doch Tuchel einer der Trainer, die sich vom Spanier sehr viel abgeschaut haben und seine Spielweise adaptieren möchten.

Seine Trainerkarriere begann der Deutsche in Stuttgart und Augsburg im Nachwuchsbereich. Seine erste Station im Profifußball war der 1. FSV Mainz 05. Nach fünf Jahren zog es ihn als Nachfolger von Jürgen Klopp (53) zu Borussia Dortmund. Hier zeigte sich jedoch recht schnell die Schattenseite des Thomas Tuchel. Trotz guter sportlicher Leistungen, unter anderem dem Gewinn des DfB-Pokals 2017, musste Tuchel nach nur zwei Jahren aufgrund von Differenzen zwischen ihm und der Vereinsführung seinen Hut nehmen.

Nach einem Sabbatjahr übernahm Tuchel 2018 den französischen Serienmeister Paris St. Germain. In den zwei vollen Saisons unter seiner Leitung gewannen die Hauptstädter zwei Meistertitel, dazu gewann man 2020 beide heimischen Pokale und erreichte das Champions-League-Finale (0:1 gegen FC Bayern München). All diese Erfolge und die sehr gute Beziehung zu den Spielern konnten die Entlassung Ende Dezember 2020 nicht verhindern. Grund waren neben Platz zwei in der Liga vor allem Unstimmigkeiten mit dem sportlichen Leiter Leonardo (51). Nur einen Monat später hatte Tuchel jedoch wieder einen Job, er unterschrieb beim Chelsea FC.

Der neue Trainer bringt auch eine neue Taktik mit

Tuchel brachte auch eine neue Taktik mit nach London. Statt des 4-3-3 von Lampard spielen die Blues nun mit Dreierabwehrkette. Dafür hat Tuchel auch einige Spieler umfunktioniert. Der gelernte Rechtsverteidiger Cesar Azpilicueta (31) bildet den rechten Teil der Dreierkette, vor ihm als Schienenspieler agiert der eigentliche Flügelspieler Callum Hudson-Odoi (20). Daneben wurden auch Spieler, die unter Lampard wenig bis gar keine Rolle gespielt hatten, zurück in die Mannschaft beordert. Antonio Rüdiger (27) ist in der Innenverteidigung gesetzt, auf der linken Außenbahn bekommt Marcos Alonso (30), der unter Lampard zuletzt an Spieltag drei überhaupt im Kader stand, zumeist den Vorzug vor Chilwell.

(Photo by Neil Hall – Pool/Getty Images)

Die Außenverteidiger haben hierbei auch eine sehr wichtige Rolle. Sie sind die einzigen Außenspieler, die Offensivkräfte agieren sehr zentral. Somit müssen Alonso und Hudson-Odoi viel Fläche alleine abdecken. Der Vorteil, den die beiden haben, ist, dass Chelsea durch starkes Pressing in den bisherigen Spielen unter Tuchel knapp 68% Ballbesitz hatte und die beiden sich daher viele Wege nach hinten sparen konnten. Dies dürfte gegen Liverpool anders aussehen, es bleibt abzuwarten, wie sie das hinbekommen.

In der Offensive experimentiert Tuchel noch viel herum. Von den 810 möglichen Einsatzminuten kommt keiner der zahlreichen Offensivspieler auf über 600. Mason Mount (22) steht bei 592 Minuten, Werner als Zweitbester in dieser Statistik bei 534 Minuten. Insgesamt kamen für die drei Positionen in vorderster Front bereits acht Spieler zum Einsatz, von denen sieben den Anspruch haben dürften, Stammspieler zu sein. Wie gut Tuchel dies moderieren kann, muss abgewartet werden.

Defensiv top, offensiv ausbaufähig

Wie wahrscheinlich bereits beim letzten Absatz gedacht, läuft es offensiv bisher noch nicht wirklich rund. Man beherrscht zwar die meisten Gegner, doch im letzten Drittel sind die Blues viel zu harmlos. Kaum einmal kommt man zu mehr als zwei hochkarätigen Chancen in einem Spiel. Die Defensive funktioniert hingegen umso besser. Die Umstellung auf drei Innenverteidiger hat wahre Wunder bewirkt, in den neun Spielen unter Tuchel kassierte die Mannschaft lediglich zwei Gegentreffer.

Entsprechend gut sind auch die Ergebnisse. Chelsea ist noch ungeschlagen, sechs Siege und drei Remis stehen zu Buche. Durch den guten Lauf ist man ganz nah an die Champions-League-Plätze herangerückt und hat unter anderem Liverpool überholt. Etwas mit Vorsicht zu genießen sind die Ergebnisse, denn bis auf Manchester United (0:0) war noch kein starker Gegner in der Liga dabei. Doch der Anfang für eine erfolgreiche Zeit unter Thomas Tuchel scheint gemacht.

Prognose

Wie bereits angesprochen, dürfte am Donnerstag die erste echte Bewährungsprobe auf Thomas Tuchel und sein neues System zukommen. Vor allem die Außenverteidiger und die Halbstürmer im 3-4-2-1 werden defensiv deutlich mehr gefordert werden als bisher. Liverpool ist bekannt dafür, gegen Mannschaften mit Dreierkette besonders gut zu funktionieren, da die Außenverteidiger Andrew Robertson (26) und Trent Alexander-Arnold (22) viele Freiräume haben werden. Auch der verletzungsbedingte Ausfall von Abwehrchef Silva wiegt in dem Spiel gegen den Meister wohl deutlich schwerer als zuletzt. Dazu kommt, dass Keeper Mendy in den letzten Wochen immer wieder Schwächen gezeigt hat, wenn ihn der Gegner anlief. Hier sollten die Reds auf jeden Fall ansetzen und den Senegalesen so oft wie möglich unter Druck setzen.