Die Premier League und Liverpool sind schon wieder zurück und unser Kolumnist Robin gibt seine Preview auf die neue Saison.

Als wäre die erste Meisterschaft seit 30 Jahren ohne Fans in den Stadien nicht schon schrecklich genug, geht es damit auf unbestimmte Zeit weiter. Hätten wir letzte Saison Everton im Goodison mit einem weiteren legendären Origi-Tor geschlagen und dann in Anfield gegen Crystal Palace vor einem kochenden Kop alles klargemacht? In den Fantasien vieler Reds geschah das wahrscheinlich schon tausende Male – mit Fantasien kann man die gegenwärtig sterile Realität aber nicht wegträumen.

Trotzdem gibt es ein Licht am Ende des Tunnels: Bereits Ende August wurde in Brightons AMEX-Stadium ein erfolgreiches Test-Event durchgeführt, bei welchem 2.500 Fans anwesend waren. Natürlich mussten die Gruppen das Physical Distancing einhalten und vor dem Spiel eine Maske tragen. Auch wenn das erst ein kleiner Schritt ist, gibt es immerhin mal die vorgesehene Richtung vor.

Der Stadionbesuch wird zum Experiment

Die Premier League arbeitet eng mit der britischen Regierung zusammen, um Anfang Oktober wieder Fans in die Stadien zu lassen. Wie viele das sein werden, ist noch unbekannt und ist abhängig von weiteren Test-Events in Sportstadien. Dabei könnte sich die Auslastung von Stadion zu Stadion unterscheiden, denn nicht alle Stadien haben eine geeignete Infrastruktur oder Lokation.

So wurde zum Beispiel für das Test-Event das AMEX-Stadium ausgewählt, weil es außerhalb Brightons liegt und es rund herum viel Platz bietet. Dies bedeutet, dass das AMEX-Stadium eine höhere relative Auslastung haben könnte als Stadien, welche sich in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten befinden. Was sonst Anfields Stärke ist, könnte sich bezüglich dessen als Nachteil erweisen, denn Liverpools Heimstadion befindet sich inmitten von einem dicht bewohnten Wohnquartier.

LIVERPOOL, ENGLAND – JULY 05: General view inside the empty stadium as Andy Robertson of Liverpool crosses the ball during the warm up prior to the Premier League match between Liverpool FC and Aston Villa at Anfield on July 05, 2020 in Liverpool, England.Football Stadiums around Europe remain empty due to the Coronavirus Pandemic as Government social distancing laws prohibit fans inside venues resulting in games being played behind closed doors. (Photo by Shaun Botterill/Getty Images)

Dazu ist noch ungeklärt, wie es mit dem Singen sein wird, dem Urinstinkt jedes Kopites. Beim Singen werden die Partikel aus dem Mund und der Nase besonders stark in die Umgebung emittiert, was präventionstechnisch suboptimal ist. Kann man den Fans aber wirklich verbieten zu singen? Einerseits wäre dies schwierig durchzusetzen, andererseits ist die Atmosphäre und das Gruppengefühl beim Singen ein zentraler Bestandteil der Fankultur, vor allem in Liverpool.

Solche und viele andere Überlegungen werden gegenwärtig in unzähligen Meetings der verantwortlichen Stellen diskutiert. Wir Fans werden uns zumindest in absehbarer Zeit an Temperaturchecks und geordnete Menschenflüsse in Stadien gewöhnen müssen. In Großbritannien ist sich die Corona-Situation momentan am Verschlechtern und der Oktober könnte ganz schnell mal zu 2021 werden. Die Regierung droht bereits damit, das Datum für die Fanrückkehr hinauszuzögern.

TOPSHOT – Liverpool’s German-born Cameroonian defender Joel Matip (R) celebrates in front of the Liverpool fans after scoring their first goal in the English FA Community Shield football match between Manchester City and Liverpool at Wembley Stadium in north London on August 4, 2019. (Photo by Ian KINGTON / AFP) / NOT FOR MARKETING OR ADVERTISING USE / RESTRICTED TO EDITORIAL USE (Photo credit should read IAN KINGTON/AFP via Getty Images)

Ist Liverpool bereit für eine neue Achterbahnfahrt?

Unabhängig von Corona steht die neue Saison 2020/21 an. Das unbescheidene Ziel lautet Titelverteidigung, um mit Manchester United als Rekordmeister gleichzuziehen. „Wir werden nächste Saison den Titel nicht verteidigen – wir werden ihn angreifen“ gab ein angriffslustiger Klopp schon wenige Tage nach dem Gewinn der Premier League bekannt. Zudem sprach der Schwabe eine Warnung aus: „Ich habe gelernt, dass wenn man denkt, man sei auf dem Zenit, man sich in Wahrheit schon wieder auf dem Abstieg befindet“. Sollten wir also besorgt sein? Nicht unbedingt, denn trotz bislang nur einem Transfer ist Liverpool für die neue Saison gut gerüstet.

Mit Kostas Tsimikas haben wir endlich den so lange benötigten Backup für Robbo. Der schottische Braveheart hat zwar etwa 15 Pferdelungen, irgendwann braucht aber auch er eine Pause und der 34-jährige Millie kann nicht überall den Feuerwehrmann spielen. Thaigo Alcantara wäre eine Weltklasse-Verstärkung für das Mittelfeld, dieser Transfer ist aber wohl abhängig davon, ob Gini Wijnaldum dem neuen Barcelona-Coach Ronald Koeman nach Katalonien folgt. Vor allem im vergangenen Champions League-Finale konnten alle sehen, wie Thiago ein Spiel dominieren kann.

Obwohl die ‘Front Three’ gegen Ende der letzten Saison ein bisschen nachgelassen hat, zählt sie dennoch zu den Besten, was Europa zu bieten hat – vielleicht auch die Beste. In nicht allzu ferner Zukunft muss Klopp aber mit der Verjüngung beginnen. Salah/Firmino/Mané sind gegenwärtig mit 28 Jahren alle im besten Fußballeralter, dennoch sollte man lieber zu früh als zu spät mit der Erneuerung anfangen. Alex Ferguson konnte mit dieser Strategie den englischen Fußball über Jahre dominieren, so weh uns das auch tut.

Ein Mittelweg wäre zum Beispiel, einen Spieler zu holen, der schon offensichtliches Weltklasse-Potenzial hat, aber noch nicht das fertige Produkt ist. Diese Vorgehensweise brachte bislang großen Erfolg. Timo Werner war der perfekte Kandidat für diese Rolle und hätte Bobby ein bisschen Feuer machen können. Wegen der unsicheren finanziellen Lage entschied sich die Vereinsführung aber gegen diesen Transfer – Chelsea profitierte.

Chelsea’s German striker Timo Werner is pictured during the pre-season friendly football match between Brighton and Hove Albion and Chelsea at the American Express Community Stadium in Brighton, southern England on August 29, 2020. – The game is a ‚pilot‘ event where a small number of fans will be present on a socially-distanced basis. The aim is to get fans back into stadiums in the Premier League by October. (Photo by Glyn KIRK / AFP) (Photo by GLYN KIRK/AFP via Getty Images)

Chelsea, City – die Konkurrenz schläft nicht

Genau dieses Chelsea hat im Sommer auf dem Transfermarkt fett zugeschlagen. Werner, Ziyech, Havertz, Chilwell und Silva werden die ohnehin schon starke Chelsea-Mannschaft signifikant verstärken. Mit den Blues ist im Kampf um die Meisterschaft definitiv zu rechnen, auch wenn es wahrscheinlich Zeit braucht, um die neue Mannschaft aufeinander abzustimmen.

Wer denkt, dass bei solchen Ausgaben das FFP tot sei, der landet bei Manchester City. Der Sieg vor dem CAS gegen die UEFA wegen des FFP-Verfahrens war wohl der größte Erfolg der Vereinsgeschichte. Auf dem Spielfeld wurde mit Nathan Aké die Innenverteidigung verstärkt, die große Schwachstelle der letzten Saison. Zudem soll Ferran Torres die rechte Außenbahn beackern. Mit Leroy Sané verlor City zwar einen sehr wichtigen Offensivspieler, ist aber immer noch extrem potent aufgestellt. Es ist davon auszugehen, dass City die verpatzte letzte Spielzeit wiedergutmachen will und wir sollten nicht überrascht sein, sollten sie wieder zur ‘alten’ Stärke finden.

Wie wahrscheinlich ist es, dass wir in der dritten aufeinanderfolgenden Saison an der 100-Punkte-Marke kratzen werden? Schwierig zu sagen, es wird aber wohl keine so souveräne Meisterschaft wie letzte Saison. Schlussendlich macht aber genau diese Unvorhersehbarkeit die Premier League aus. Mit dem Kern der Mannschaft, welcher mehrheitlich im besten Alter ist, bleiben wir nicht nur auf dem britischen Festland eine Macht.

Man merkt erst, was man hatte, wenn es fehlt

Sobald die Fans etappenweise wieder in die Stadien können, werden wir merken, was wir vermisst haben: die Stimmung, das Gruppengefühl oder das Pint im Albert Pub vor dem Spiel. Schon Shankly sprach von der „heiligen Dreifaltigkeit“ – also den Spielern, Trainern und Fans. Wann auch immer diese drei Dinge wieder in Anfield vereinigt sein werden, steht noch offen. Hoffentlich schon im Oktober wie angepeilt. Die Reds benötigen unseren Support definitiv, denn sie haben eine Mission zu erfüllen: Nummer 20 nach Hause zu bringen und Manchester weiter zu ärgern.

Up the Reds.