Analyse | Am Wochenende beginnt die neue Premier League-Saison. Liverpool empfängt am ersten Spieltag den Aufsteiger Leeds United in Anfield.
Die Whites sind nach 16 langen Jahren in den Niederungen des englischen Fußballs endlich zurück in der Premier League. Der Manager Marcelo Bielsa ist dabei einer der wichtigen Architekten des Erfolgs.
Das Leihsystem durchbrochen
Entscheidend für den Aufstieg war das Leihspieler-System. Daher war diesen Sommer Weiterverpflichtung von Leistungsträgern entscheidend. Mit Helder Costa und Illan Meslier konnten zwei dieser Leistungsträger fest verpflichtet werden, Jack Harrison konnte ein weiteres Jahr von Manchester City ausgeliehen werden.

Als Nachfolger für Ben White, den wohl besten Innenverteidiger der abgelaufenen Zweitligasaison, der nur aus Brighton ausgeliehen war, konnte man Robin Koch aus Freiburg verpflichten. Dazu kam mit Rodrigo ein starker Stürmer, der in seiner Karriere schon alles gesehen hat, aus Valencia.
Pressing und Ballbesitz
Mateusz Klich, der polnische Mittelfeldspieler hat das System von Leeds wohl am besten beschrieben: Taktik, Taktik, Taktik und Fitness.
Defensiv jagt man den Gegner über den gesamten Platz. Grundlage ist die sogenannte „Bielsa Press„, ein extremes Pressing-System, in dem alle Spieler mitarbeiten müssen. Das Pressing zeichnet sich durch Momente aus, in denen bis zu sieben Spieler einen Gegner jagen. So möchte man den Spielaufbau des Gegners schon im Keim ersticken.

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Offensiv wird aus dem 4-1-4-1 System ein 3-3-1-3. Ein solches System spielt ansonsten kaum jemand. Der defensive Mittelfeldspieler Kalvin Phillips lässt sich hierbei zwischen die beiden Innenverteidiger fallen, um im Spielaufbau zu helfen. Mit Klich lässt sich einer der beiden eigentlich offensiven Mittelfeldspieler zwischen die beiden aufrückenden Außenverteidiger fallen. Ein weiterer offensiver Mittelfeldspieler agiert zwischen den Linien, um den Ball von den aufbauenden Spielern hin zu den offensiven Spielern zu bringen. Diese Aufgabe nahm in der Aufstiegssaison zumeist Pablo Hernandez. Der routinierte Spanier war das Herz und die Seele des Spiels. Ob er auch in der Premier League an die Leistungen anknüpfen kann, bleibt abzuwarten.
Diese Spielweise ist extrem riskant, doch von Marcelo Bielsa ist zu erwarten, dass er seine Spielweise auch in der Premier League gegen nominell stärkere Mannschaften durchziehen wird.
Marcelo Bielsa – Der größte Theoretiker unserer Zeit
Marcelo Bielsa. Dieser Name löst bei den meisten Fachmännern Gänsehaut aus. Es gibt wohl niemanden, der seit Johann Cruyff den Fußball so sehr durchdacht und verstanden hat wie der Argentinier. Ihm beim Philosophieren über den Fußball zuzuhören ist eine helle Freude. Nicht umsonst nennen ihn Welttrainer wie Pep Guardiola und Mauricio Pochettino, wenn sie nach ihrem Vorbild gefragt werden.

Vor allem auf Guardiola hat er einen extremen Einfluss. Bevor Guardiola seine Trainerkarriere begann, besuchte er Bielsa auf dessen Ranch. Aus einem kleinen Austausch wurde eine elfstündige Taktikschulung. „Er ist der beste Trainer der Welt. Wer ein Trainer werden will, muss vorher mit ihm geredet haben.“, so adelte Guardiola „El Loco“, den Verrückten, wie er genannt wird.

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Bielsa hat in seiner Zeit in Argentinien sämtliche jungen Talente des Landes selbst gescoutet und in einem Aktenordner kategorisiert. Dafür reiste er monatelang durch das ganze Land. Den jungen Pochettino klingelte er beispielsweise nachts um zwei Uhr aus dem Haus, um ihm nur anhand seiner Beine eine große Karriere zu prophezeien. Bielsa sucht keinerlei Luxus, geht jeden Tag zu Fuß zum Trainingsgelände. Seinen Job als Trainer von Lazio Rom gab er nach wenigen Tagen auf, weil ihm das Umfeld nicht passte und er sich nicht voll auf den Fußball konzentrieren konnte. In Taktik-Analysen kommt es vor, dass er drei Seiten über den dritten Torwart des Gegners zusammensammelt. Nach eigenen Aussagen verbringt er selbst den Weihnachtstag damit, Videos über kommende Gegner zu studieren. Da wird er in er Premier League viel zu tun haben.
Großes Aufsehen erregte auch das sogenannte „Spiogate“, als Bielsa einen Mann als Co-Trainer verkleidet bei Derby County in den Trainingsbetrieb einschleusen wollte. Der Spion sollte Informationen über den kommenden Gegner sammeln. Eine weitere kuriose Geschichte machte Schlagzeilen, als er seine Spieler anwies den Gegner Aston Villa ein einem Spiel ein Tor erzielen zu lassen. Grund dafür war, dass sein Team ein Tor erzielte, obwohl ein gegnerischer Spieler verletzt auf dem Boden lag.

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An dieser Erzählung wird klar, dass Bielsa sein Team mit eiserner Hand führt. Frühere Spieler verglichen es mit ihrer Zeit beim Militär. Der einzige Spieler, der sich damals gegen die Ansage, dass der Gegner ein Tor schießen darf, wehrte, wurde im Sommer verkauft.
Wie sehr Bielsa den Fußball durchdrungen hat, sieht man auch daran, dass er sämtliche Möglichkeiten, wie Spieler auf Situationen reagieren können, erfasst hat. So gibt es laut ihm 29 verschiedene Formationen, 17 defensive Spielweisen, 26 mögliche Bewegungen, mit denen ein Verteidiger seinem Gegenspieler den Ball abnehmen kann, fünf Wege, sich aus der Deckung eines Gegenspielers zu befreien und 36 verschiedene Arten, wie Spieler über Pässe miteinander kommunizieren können.
Wir empfehlen für alle interessierten Fußballfans die Amazon Prime Dokumentation „Take Us Home: Leeds United“
Player to watch: Kalvin Phillips – Der Yorkshire Pirlo

Phillips ist nicht nur ein ganz entscheidender Mann im Spiel von Leeds, er ist vielmehr auch Identifikationsfigur und Fan Liebling. Er ist in Leeds geboren und bei den Whites ausgebildet worden. Im Laufe seiner Karriere war nahezu jeder Premier-League-Verein an ihm interessiert. Mehr als einmal stand ein Wechsel unmittelbar bevor. Doch als Leeds-Fan wollte er nicht gehen, bevor er den Verein zurück in die Premier League geführt hatte. Diese Nähe zu den Fans und die Emotionalität, mit der er bei der Sache ist, hat aber auch seine Schattenseiten. Nach dem verpassten Aufstieg 2019 konnte er sich kaum mehr in der Stadt blicken lassen, viele Fans machten ihn für das Scheitern verantwortlich.
Spielerisch ist er durchaus mit dem im Spitznamen genannten Andrea Pirlo zu vergleichen. Wie bereits in der Taktik aufgeführt, lässt er sich oft zwischen die Innenverteidiger fallen und übernimmt damit den Spielaufbau. Sowohl seine kurzen Pässe als auch seine langen Bälle auf die offensiven Außenbahnspieler sind exzellent. Er ist allerdings auch im Zweikampf stark. Seine größte Schwäche ist die fehlende Kopfballstärke und Schnelligkeit.
Durch seine hervorragenden Leistungen ist Philips in die Nationalmannschaft von Gareth Southgate nominiert worden.
Prognose:
Gegen das Pressing klar zu kommen wird für Liverpool entscheidend sein. Dafür bedarf es vor allem im Mittelfeld die entsprechenden Spieler. Naby Keita wäre hier sicherlich eine gute Option. Gelingt es den Reds, das Pressing auszuhebeln, ist Leeds durchaus anfällig. Sadio Mané und Mohamed Salah sollten genug Platz bekommen, um Tempo aufnehmen zu können. Die offensiven Außenverteidiger Liverpools werden ihre Räume bekommen um gefährlich ins Spiel eingreifen zu können.
Offensiv müssen die Reds vor allem auf Hernandez achten. Nimmt man den Spanier aus dem Spiel, fehlt den Whites ihr entscheidender Mann im Sturm.