Liverpool dreht gegen den FC Barcelona einen 0:3-Rückstand aus dem Hinspiel und zieht in das Finale der Champions League ein. Ein Spiel für die Ewigkeit.

„Never Give Up“ – Diese Worte standen auf dem Shirt von Liverpool-Angreifer Mohamed Salah, als er am 07. Mai 2019 das Stadion an der Anfield Road betrat. Der Ägypter bewegte sich aber nicht in Richtung Kabine, um sich für das Champions League-Halbfinal-Rückspiel gegen den FC Barcelona bereit zu machen. Sein Weg führte in Richtung Tribüne. Wegen einer Gehirnerschütterung aus dem vorherigen Premier League-Spiel konnte Salah nicht gegen die Katalanen mitkommen. Die Botschaft auf seinem Shirt schien aber bei seinen Mitspielern angekommen zu sein.

Liverpool’s Egyptian midfielder Mohamed Salah (R) passes Barcelona’s Spanish midfielder Sergio Busquets as he celebrates winning the UEFA Champions league semi-final second leg football match between Liverpool and Barcelona at Anfield in Liverpool, north west England on May 7, 2019. (Photo by Paul ELLIS / AFP) (Photo credit should read PAUL ELLIS/AFP/Getty Images)

Ohne Salah und Firmino zum „Wunder“

Die Ausgangslage vor dem Rückspiel gegen Barcelona war trist. Im Hinspiel konnten sich die Reds trotz einer starken Leistung nicht mit einem Auswärtstreffer belohnen. Die Spieler des FC Barcelona machten mit ihren Theatraliken den Liverpoolern das Leben schwer. Zusätzlich zeigten sie sich vor dem Tor kaltschnäuzig und siegten am Ende mit 3:0. In der Liga setzte es für Jürgen Klopps Team ebenfalls einen herben Dämpfer im Meisterschaftskampf. Obwohl man gegen Newcastle United einen späten Sieg feiern konnte, sorgte Tabellenführer Manchester City mit einem glücklichen 1:0-Sieg gegen Leicester City einen Tag vor dem Halbfinale für eine Vorentscheidung im Premier League-Titelrennen. Zusätzlich sollte neben Salah mit Roberto Firmino ein weiteres Mitglied des gefährlichen Sturmtrios verletzt fehlen.

NEWCASTLE UPON TYNE, ENGLAND – MAY 04: (THE SUN OUT, THE SUN ON SUNDAY OUT) Mohamed Salah of Liverpool goes off injured during the Premier League match between Newcastle United and Liverpool FC at St. James Park on May 04, 2019 in Newcastle upon Tyne, United Kingdom. (Photo by Andrew Powell/Liverpool FC via Getty Images)

„Zwei der besten Offensivspieler der Welt werden fehlen, und wir müssen vier Tore schießen. Das macht das Leben nicht eben leichter“, sagte Jürgen Klopp in der Pressekonferenz vor dem Spiel. Der Coach beließ es aber nicht mit diesem nüchternen Statement. Im Gegenteil: Im weiteren Verlauf der Pressekonferenz versprühte Klopp eine ungeahnte Vorfreude auf das Spiel. Obwohl die Chancen schlecht stehen, sieht er dennoch eine Möglichkeit, dass seine Mannschaft am 1. Juni beim Finale in Madrid dabei sein wird. „Wir wollen das kleine Wunder schaffen. Wenn wir es hinbekommen: wundervoll. Und sonst lasst uns möglichst schön scheitern.“

Für die Mission „Wunder“ stellte Klopp anstelle von Salah und Firmino den Schweizer Xherdan Shaqiri und den Belgier Divock Origi von Beginn an auf. Beide kamen im Verlauf der Saison nicht über die Reservistenrolle hinaus. Allen voran Origi. Doch das Duo war einige Tage zuvor für den spielentscheidenden Treffer gegen Newcastle United verantwortlich. Origi zeigte schon mit seinem Last-Minute Siegtreffer im Derby gegen Everton, dass er für große Momente sorgen kann. Nicht von Beginn an dabei war Georginio Wijnaldum. Der Niederländer musste überraschender auf der Bank Platz nehmen. Klopp setzte im Mittelfeld neben den Stammkräften Jordan Henderson und Fabinho auf den erfahrenen James Milner.

Origi stellt schon früh die Weichen für das Comeback

Nachdem knapp 50.000 Liverpool-Fans in Anfield mit einer weiteren emotionalen Version von „You’ll Never Walk Alone“ für die nötige Gänsehautstimmung sorgten, ging das Spiel los. Die Körpersprache der Liverpooler Spieler sprach von Sekunde eins an Bände. Man wollte sich nicht wie im Hinspiel von Barcelonas Theatraliken ärgern lassen. Früh im Spiel schubste Andy Robertson nach einem Zweikampf den am Boden liegenden Lionel Messi zur Seite, um an den Ball zu kommen. Barcelona wirkte von der mentalen Wucht Liverpools überrumpelt.

LIVERPOOL, ENGLAND – MAY 07: Divock Origi (27) scores his team’s first goal during the UEFA Champions League Semi Final second leg match between Liverpool and Barcelona at Anfield on May 07, 2019 in Liverpool, England. (Photo by Clive Brunskill/Getty Images)

Nach sieben Minuten tankte sich Henderson in den Strafraum Barcelonas durch und schoss aufs Tor. Marc-André ter Stegen im Tor der Gäste reagierte blitzschnell, konnte den Ball aber nur zur Mitte hin abklatschen. Dort wartete Origi schon und schob den Ball ins leerstehende Tor ein. Der frühe Treffer war enorm wichtig für Liverpool, den so wuchs der Glaube in den Köpfen der Reds – und in denen der Barcelona-Spieler – dass ein Comeback noch möglich war.

Es folgte ein harter Schlagabtausch, in welchem Liverpool einige Chancen liegen ließ. Barcelona auf der anderen Seite hatte mehrmals die Möglichkeit den Ausgleich zu erzielen, scheiterte aber an einem starken Alisson Becker. Als die Spieler sich zur Halbzeit auf den Weg in die Kabinen machten, stand es weiterhin 1:0. Noch war also alles möglich. Für den Twitter-Account des FC Barcelona war auf jedenfall noch ein Treffer für die Katalanen drinnen.

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Zwei Tore in zwei Minuten – Wijnaldum sticht zu

In der Pause musste Klopp feststellen, dass es für Robertson nicht mehr weiterging. Der Schotte hatte wenige Minuten vor dem Halbzeitpfiff einen Tritt von Luis Suarez abbekommen und konnte nicht mehr schmerzfrei auftreten. Klopp hatte keinen klassischen Außenverteidiger auf der Bank, weswegen der Wijnaldum für den Schotten ins Spiel brachte. Der Niederländer sollte im Mittelfeld für offensiven Schwung sorgen, während Milner die Position von Robertson links hinten übernehmen sollte.

Einen besseren Wechsel dürfte Klopp in seinem Leben wohl nie getätigt haben. Wieder begann Liverpool die Halbzeit sehr energisch und überrumpelte Barcelona in allen Belangen. Diesmal dauerte es neun Minuten, als Trent Alexander-Arnold sich den Ball im Mittelfeld eroberte und von der rechten Seite eine flache Flanke in den Strafraum schlug. An der Grenze des Sechszehners kam Wijnaldum hereingestürmt und schlug ter Stegen aus elf Metern. Die Lautstärke auf den Rängen wurde um einige Dezibel lauter. Das Comeback war nun eine realistische Möglichkeit, fast schon unvermeidbar.

Liverpool’s Dutch midfielder Georginio Wijnaldum (C) heads the ball to score their third goal during the UEFA Champions league semi-final second leg football match between Liverpool and Barcelona at Anfield in Liverpool, north west England on May 7, 2019. (Photo by Oli SCARFF / AFP) (Photo credit should read OLI SCARFF/AFP/Getty Images)

Barcelona befand sich in einer Schockstarre. Gleich nach dem Wiederanpfiff mussten sie sich schon dem nächsten Angriff der Reds stellen, diesmal von der linken Seite. Milner spielte den Ball zu Shaqiri. Dessen Flanke findet keinen geringern als Wijnaldum. Der 1,75-Meter große Niederländer springt am Höchsten und köpft dem Ball in ter Stegens obere rechte Ecke zum 3:0 ein – Ausgleich im Champions League-Halbfinale und pure Ekstase auf dem Platz und auf den Rängen.

„Corner taken quickly, Origi!“ – Barcelona schläft

Was im Anschluss folgte, wird in die ewigen Geschichtsbücher des Europapokals eingehen. In der 78. Minute bekommt der Liverpool FC eine Ecke zugesprochen. Die Spieler des FC Barcelona bewegten sich langsam zurück in den eigenen Strafraum. Alexander-Arnold setzte zuerst zum Eckball an, sieht dann aber Shaqiri auf ihn zulaufen und wendet sich langsam ab. Der junge Liverpooler bemerkte aber die Geistesabwesenheit der Barcelona-Spieler und reagierte blitzschnell. Er drehte sich um und beförderte den Ball in den Strafraum zu Origi. Der Belgier rechnete fast selber nicht mit einer schnell ausgeführten Hereingabe, merkte aber vor seinen Gegenspielern was gerade passierte. Gedankenschnell nahm er den Ball direkt ab und erhöhte Liverpools Führung auf 4:0. Der große FC Barcelona wurde düpiert wie eine Schulmannschaft. Fassungslosigkeit machte sich auf den Gesichtern von Messi und Co. breit, während Origi und Alexander-Arnold sich vor dem Kop in einer Jubeltraube befanden.

LIVERPOOL, ENGLAND – MAY 07: Divock Origi of Liverpool (27) celebrates as he scores his team’s fourth goal with team mates during the UEFA Champions League Semi Final second leg match between Liverpool and Barcelona at Anfield on May 07, 2019 in Liverpool, England. (Photo by Clive Brunskill/Getty Images)

Partystimmung in Anfield – Liverpool fährt nach Madrid

Liverpool schaffte es den Vier-Tore-Vorsprung über die Zeit zu halten und als Schiedsrichter Cüneyt Çakır nach 95 Minuten die Partie beendete, war das Wunder perfekt. Klopp und Co. liefen freudestrahlend auf das Spielfeld. Wijnaldum und Henderson sackten auf den Boden, körperlich und mental überwältigt von der gerade erbrachten Leistung. Messi stand konsterniert auf den Anfield-Rasen und musste zusehen, wie ein Junge auf dem Platz stürmte und ihm den Vogel zeigte. Die gesammelte Liverpooler Mannschaft versammelte sich vor den Kop. Als der Stadionsprecher George Sephton „You’ll Never Walk Alone“ über die Anlage laufen ließ, stand das komplette Team Arm in Arm seinen Fans und feierte mit ihnen eines der größten Comebacks der illustren Vereinsgeschichte des Liverpool FC. Mit dabei war auch Salah, dessen Botschaft „Never Give Up“ um die Welt ging. Jedem Fußballfan sollte nach diesem Spiel klar sein, dass mit dem Liverpool FC nichts unmöglich scheint.

LIVERPOOL, ENGLAND – MAY 07: Jurgen Klopp, Manager of Liverpool and Mohamed Salah of Liverpool and team mates celebrate after the UEFA Champions League Semi Final second leg match between Liverpool and Barcelona at Anfield on May 07, 2019 in Liverpool, England. (Photo by Clive Brunskill/Getty Images)

Wenige Wochen später reiste Jürgen Klopps Team nach Madrid um das Finale gegen Tottenham Hotspur zu bestreiten. Im Wanda Metropolitano gelang den Reds, was ihnen ein Jahr zuvor in Kiew gegen Real Madrid verwährt blieb. Mit dem 2:0-Sieg gegen die Spurs krönte sich Liverpool zum sechsten Mal als Champion von Europa. Ein Erfolg, der nur durch dieses spektakuläre Comeback möglich war.

Liverpool FC – FC Barcelona 4:0 (1:0) (0:3 im Hinspiel)
Liverpool FC: Alisson Becker, Trent Alexander-Arnold, Virgil van Dijk, Joël Matip, Andy Robertson (46. Georginio Wijnaldum), James Milner, Fabinho, Jordan Henderson, Sadio Mané, Xherdan Shaqiri (90. Daniel Sturridge), Divock Origi (85. Joe Gomez) – Trainer: Jürgen Klopp
FC Barcelona: Marc-André ter Stegen, Sergi Roberto, Gerard Piqué, Clément Lenglet, Jordi Alba, Ivan Rakitic (80. Malcolm), Sergio Busquets, Arturo Vidal (75. Arthur Melo), Philippe Coutinho (60. Nélson Semedo) , Luis Suárez, Lionel Messi – Trainer: Ernesto Valverde

Schiedsrichter: Cüneyt Çakır Zuschauer: 52.212
Tore: 1:0 Divock Origi (7.), 2:0 Georginio Wijnaldum (54.), 3:0 Georginio Wijnaldum (56.), 4:0 Divock Origi (79.)