Die letzten Leistungseinbrüche Liverpools in der Premier League und die Niederlage gegen Atletico Madrid zeigen für mich deutlich: Jürgen Klopp braucht mehr Qualität auf der Ersatzbank.
Die Reds waren so kurz davor eine perfekte Saison zu spielen. Zumindest in der Premier League. In den letzten vier Spieltags-Wochen wurden allerdings die Ziele immer weiter herabgesetzt. Aus einem möglichen „Quadruple“ und die Möglichkeit Arsenals „Invincibles“ Saison einzustellen wurde „nur“ der Premier-League-Titel.
Das ist Jammern auf hohem Niveau, das gebe ich zu. Die erste Meisterschaft seit 30 Jahren, wenn sie denn nun überhaupt möglich ist, ist natürlich mehr als gewünscht.
FSG (die Fenway Sports Group – Eigentümer) bauen zusammen mit dem herausragenden Trainerstab um Jürgen Klopp und Pepijn Lijnders, der umstrukturierten Jugend-Akademie, den gesunden Finanzen und diesen unglaublichen Mentalitätsmonstern im Team eine Dynastie in Liverpool auf, wie man sie aus vergangenen Zeiten um Bill Shankly und Bob Paisley kennt.
Die Niederlagen gegen Watford, Chelsea und Atletico Madrid folgten allerdings innerhalb weniger Wochen und die Leistungeinbrüche brachten mich doch etwas ins Grübeln. Trotz dieser Niederlage stehen die Reds natürlich gut dar in der Premier League. Die erste Meisterschaft seit 30 Jahren ist so gut wie fix. Auch wenn die Verantwortlichen trotz Coronavirus-Pandemie jetzt vorerst den Spielbetrieb einstellen, die Hoffnung bleibt bestehen, dass Liverpool dieses Jahr die Meister-Trophäe überreicht bekommt. Die Art und Weise zwingt mich allerdings zu einem Realitäts-Check.
Festung Anfield gestürmt
Die Festung Anfield wurde gestürmt und Liverpool wurde zum ersten Mal seit Oktober 2014 in einem europäischen Wettbewerb zu Hause geschlagen. Der bekennende „schlechte Verlierer“ hielt sich nicht zurück, als er Diego Simeones Vorgehen beklagte. „Ich verstehe bei der Qualität, die sie haben, den Fussball, den sie spielen, nicht“, sagte Klopp. „Sie könnten zwar richtigen Fussball spielen, aber sie stehen tief und haben Gegenangriffe. Wir akzeptieren das natürlich, aber es fühlt sich nicht richtig an.“ Liverpool wurde böse ausgekontert.
Atletico spielte die Rolle des Schurken bis zum bitteren Ende, als ein triumphierender Diego Costa durch die Spieler-Zone lief, die Interviewanfragen der spanischen Medien ignorierte und theatralisch hustete, während er vor sich hin kicherte. Typisch Diego.
Die Atletico-Spieler feierten ausgelassen, Simeone ließ sich die Party auf dem Platz und der Kabine nicht nehmen. Die Niederlage war für den amtierenden Champions League Sieger ein Schock und sicherlich sitzt der Schmerz tief. Die Stimmung in und um Anfield allerdings war alles andere als schlecht. Beim Schlusspfiff hallte vom Kop Applaus und ein lautes „We Shall Not Be Moved“. Die Sieger-Mentalität ist auch merklich bei den Fans angekommen.
Boxing Day Meisterschaft
Man verabschiedete sich als Titelverteidiger stolz aus dem europäischen Wettbewerb für diese Saison. Liverpools Leistung in den 90+5 Minuten war die beste Leistung seit der Demontage von Leicester City (4:0 am Boxing Day). Einzig das Ergebnis stimmte gegen Atletico Madrid nicht. Die Spieler zeigten wieder einmal ihre Stärke und Tempo und Überlegenheit. In 120 Minuten 34 Torchancen zu erarbeiten ist schon eine Ansage an die Konkurrenz.
Oftmals scheiterte man allerdings an einem Weltklasse Torwart Oblak, der an diesem Abend übernatürlich hielt. Auch wenn Roberto Firmino seine 11-monatige Torabstinenz in Anfield beendete setzte es kurz nach dem erlösenden 2:0 direkt den Dämpfer. Nach dem 2:1 ging Energie und Glaube spürbar verloren. Adrian traf die falsche Entscheidung und sie sollte Liverpool teuer zu stehen bekommen.
Die fehlende Konkurrenz im Sturm
Im Sturm fehlt derzeit ein stärkerer Wettbewerb. Wenn Salah, Mané oder Firmino nicht treffen oder ihre Kraft und Einfluss im Spiel verlieren ist der Qualitätsverlust in der Reserve einfach gesagt zu groß.
Divock Origi wird immer für seine denkwürdigen Leistungen in den entscheidenden Spielen der vergangenen Saison gelobt werden und hat einen speziellen Platz in den Herzen der Fans. Aber er hat nicht weiter gekämpft. Der belgische Nationalspieler hat in dieser Saison nur fünf Tore erzielt und seine Fähigkeit Spiele zu beeinflussen hat drastisch abgenommen.
Takumi Minamino muss sich an seine neue Umgebung gewöhnen und sein erstes Tor steht noch aus. Sein Einfluss war bisher minimal.
Xherdan Shaqiri verbrachte den Großteil der Saison auf dem Behandlungstisch und seine Zeit bei Liverpool scheint abgelaufen zu sein.
Dadurch zeigt sich wie wichtig eine offensive Vertärkung im Sommer gefragt ist. Liverpool ist nach wie vor stark an Timo Werner von RB Leipzig interessiert. Klopp ist ein großer Bewunderer des deutschen Nationalspielers. Werner passt zum Spielstil und ins System – der Preis rechtfertigt eigentlich direkt zuzuschlagen.
Jadon Sancho von Borussia Dortmund und Kai Havertz von Bayer Leverkusen sind ebenfalls auf dem Radar, aber die Transfersummen (beide Spieler würden wahrscheinlich über 100 Millionen Euro kosten ) scheinen zu viel zu sein für den LFC.
Mittelfeld: Den Kern verstärken
Das Liverpooler Mittelfeld-Trio Jordan Henderson, Wijnaldum und Alex Oxlade-Chamberlain hat sich gegen Atletico durchgesetzt. Man kann Klopp nicht vorwerfen, dass er hier die falsche Aufstellung gewählt hat.
Henderson zeigte bei seiner Rückkehr, warum seine verletzungsbedingte Abwesenheit der Mannschaft in den letzten Wochen weh tat und Wijnaldum erwies sich einmal mehr als Mann für die großen Spiele. Die Vertragsverlängerung des Niederländers sollte ganz oben auf der Liste des Sportdirektors Michael Edwards stehen. Er ist zu wertvoll, als dass er die Reds zum Sommer oder sogar Ablösefrei nächstes Jahr verlässt.
Oxlade-Chamberlain erbrachte seine wohl bester Leistung für den Klub. Seine Kraft, sein Tempo und die intelligente Weitsicht war sicherlich ausschlaggebend für die besondere Leistung des Teams.
Doch als die Beine schwer wurden und die Auswechlungs unausweichlich waren fehlte eine souveräne Alternative auf der Bank. Naby Keita war nicht einmal auf der Bank. Eigentlich sollte der ehemalige RB Leipzig Spieler in solchen Spielen den Unterschied machen. Seit zwei Jahren stottert seine Karriere, auch verletzungsbedingt. Seit Beginn des Jahres gab es nur bei Spiele mit Keita in der Startaufstellung.

Jammern auf hohem Niveau
Natürlich hat Jürgen Klopp Vertrauen in seine Spieler und zeigt Geduld. Das zeichnet seinen Führungsstil aus. Niemand behauptet, dass die derzeitig fehlende qualitative Verstärkung nicht nächstes Jahr die besten Mannschaften der Welt auseinander reißt. Die Frage ist allerdings, ob sich Liverpool weiterhin erlauben kann hier weiter zu „spekulieren“.
Adam Lallana wird wahrscheinlich die Reds zum Sommer verlassen. Und Adrians Position im Klub könnte ebenso bald vakant sein. In den letzten Wochen hat der Spanier leider gezeigt, warum West Ham United ihn im vergangenen Sommer entlassen hat. Zwei katastrophale Fehler von ihm haben Liverpool innerhalb von acht Tagen aus dem FA-Cup und der Champions League vertrieben. Hätte sich Alisson in der vergangenen Woche in Melwood nicht die Hüfte verletzt, würden die Reds wahrscheinlich im Viertelfinale beider Wettbewerbe stehen.

Sollten die Reds bald endlich zum Meister gekürt werden und endlich den ersten Liga-Titel seit 30 Jahren gewinnen sind natürlich alle Spieler im Team Teil dieses Erfolges. Ebenso die angesprochenen auf der Ersatzbank. Fußball ist ein Team-Sport. Selbst individuelle Fehler können vom kompletten Team kompensiert werden. Es geht in dem Sport allerdings auch immer darum, den nächsten Schritt zu gehen. Die nächste Stufe zu erreichen. Die Schwierigkeiten nur an einem Spieler festzumachen ist unfair und nicht erwachsen. Das sollte klar sein. Alisson stand ja immerhin bei der Niederlage gegen Watford im Tor. Das All-Heil-Mittel ist auch er nicht, wenn etwas in der Mannschaft nicht rund läuft.
Fehlender Euphorie?
Diese Saison mag sich vielleicht für viele antiklimaktisch anfühlen; enttäuschend eben, wenn kurz vor der Ziellinie solche Dämpfer eintreten. „Wir haben auch den Super Cup und den Club World Cup gewonnen. Im Leben gibt es Menschen, die nicht immer zufrieden sind. Ich konzentriere mich auf die guten Dinge.“ sagte kürzlich van Dijk in einem Interview. Er trifft es auf den Punkt. Liverpool dominierte fast alle ihre Gegner, vor allem ihre Rivalen und schrieb schon mehrfach Geschichte. Unabhängig davon, was die Pandemie jetzt anrichten vermag.

Trotz allem: Aus sportlicher Sicht können leider die Leistungen und Ergebnisse der letzten Wochen nicht bei Seite geschoben werden. Vier Niederlagen in sechs Spielen, nachdem vorher 42 nicht verloren wurden. Es ist ein Weckruf für die Transfermarkt Aktivitäten nach der Saison. Vor allem, wenn die Reds weiterhin Trophäen abräumen wollen.
Klopp muss sich leider, wenn er eine Dynastie aufbauen will und an allen Fronten eine erfolgreiche Saison mit attraktiven Fußball spielen mag, spätestens nach einer (hoffentlich stattfindenden) Meisterfeier überlegen, wie er die nächste Saison die Mannschaft qualitativ verstärken kann. Kommen die Leihspieler wie Grujic und Wilson zurück und werden direkt ins Team eingebunden? Gibt es Transfer-Coups von Edwards und Co?

Ich bin ein großer Freund der Transferpolitik der letzten Jahre und dem verstärkten Fokus auf die Jugend inklusive der Leihgeschäfte. Ich hoffe sehr, dass Spieler wie Wilson, Woodburn, Grujic, Jones (sehr wahrscheinlich) ihren Durchbruch feiern werden. Wenn sie denn bleiben. Bei Jones ist es für mich klar. Bei den anderen weiß ich nicht, ob sie das Zeug haben ein Spiel zu drehen. Momentan zumindest.
Gleichgültig was bis zum Ende der Saison sportlich passiert und egal was im „Sommer“ passieren mag. Dies sind nur meine Gedanken über die letzten Wochen und vielleicht bin ich ja mit meinen Einschätzungen zumindest teilweise auf dem richtigen Weg? Ich bin zumindest überaus stolz, was dieses Team diese Saison geleistet hat und unfassbar glücklich, dass ich das derzeit beste Team der Welt miterleben darf.
UP THE REDS!
YNWA