Boot Room Boy ist die neue Kolumne von André Völkel auf Redmen Family Germany. Das heutige Thema ist Harry Wilson, sein Wechsel zum Ligakonkurrenten AFC Bournemouth und eine mögliche Zukunft in Anfield.
Kennt ihr die Geschichte von Peter Edwards und warum er ein Jahr früher in Rente gegangen ist? Peter Edwards ist Harry Wilsons Großater und ist reich. Nicht nur im metaphorischem Sinne, wenn man sieht, wie gut es dem Enkel eigentlich geht.
Als der kleine Harry nur anderthalb Jahre alt war, setzte Peter Edwards 50 Pfund darauf, dass Harry eines Tages sein Debüt für die walisische Fußballnationalmannschaft geben wird. Die Chancen standen bei 2.500 zu 1. Der stolze Großvater ging im Oktober 2013 zu seinem Buchmacher bekam rund 125.000 Pfund ausgezahlt. Er ging daraufhin ein Jahr früher in den Ruhestand.
Vor fast sechs Jahren gab Harry Wilson sein Debüt in der walisischen Nationalmannschaft als jüngster Spieler aller Zeiten – 16 Jahren und 207 Tage alt. 108 Tage jünger als der damalige Rekordhalter Gareth Bale.
2019 gab der 23-jährige Spieler sein Premier League-Debüt, damals allerdings noch nicht für Liverpool. Und es wird noch einige Zeit dauern, bis der Junge für die Reds auflaufen wird, denn der Club bestätigte, dass er für die Saison 2019/20 an Bournemouth ausgeliehen wird.
Was hat Harry denn falsch gemacht?

Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Viele Fans sind sauer oder verstehen zumindest die Entscheidung nicht. Wilson hat sich zu einem weiteren geheimen Liebling in der Fanbase, zumindest im deutschsprachigen Raum gemausert. Sehen die Fans mehr in ihm als der Boss, Jürgen Klopp? Was hätte Harry Wilson anders machen können in der Pre-Season um eine Chance in der ersten Mannschaft zu bekommen? Eigentlich nichts, oder?
Wilson war 2013/14 Torschützenkönig der U18, unterzeichnete seinen ersten Profivertrag vor der Saison 2014/15, wurde 2016/17 Torschützenkönig als Kapitän der U23 und debütierte dort auch als Ersatzspieler im FA-Cup-Spiel gegen Plymouth im Januar – und erzielte seitdem 22 Tore in 53 ausgeliehenen Spielen in der Championship Liga für Hull City und Derby County.
Der torhungrige Wilson hat bewiesen, dass er mit gemächlicher Steigerung seiner Leistungen den Erwartungen gerecht werden kann. Warum also sollte man ihm nicht die Gelegenheit geben zu beweisen, dass er es mit den gesetzten Offensivspielern des Liverpool FC aufnehmen kann? Vor allem jetzt, in einer Saison, in der die Breite und Tiefe des Kaders eventuell mehr über Siege und Titel entscheiden könnte, als je zuvor?

Wenn man sich allerdings die Interviews und Aussagen von Jürgen Klopp in den letzten Wochen genau durchliest, hat Wilson auf jeden Fall in Anfield noch eine Zukunft vor sich. Im Moment hat allerdings, und so haben sich beide Parteien drauf verständigt, reguläre und vor allem viel Spielzeit die oberste Priorität für Harry.
Eine Frage des Vertrauens?
Eine Vielzahl von Spieler genießen das Vertrauen von Jürgen Klopp und wenn ein Trainer/Manager wie er öffentlich aussagt, dass er sein Vertrauen genießt, dann hat das eine starke Gewichtung. Harry Wilson spielt fast ausschließlich als rechter Offensivspieler. Eine Position bei der er mit seinem starken linken Fuß nach innen ziehen kann. Moment, das kommt uns doch bekannt vor?
Genau. Unglücklicherweise für Wilson haben wir schon zwei hochkarätige Spieler mit dieser Eigenschaft: Mohamed Salah und „Super-Sub“ Xerdan „die Wade“ Shaqiri. Wäre Harry in der Lage links auszuhelfen, gebe es eine Chance aufgrund der dünnen Besetzung hinter Sadio Mané.
Wilson muss sich also hinter diesen Spielern anstellen. Hinzu kommen noch zwei weitere… Divock Origi und Rhian Brewster. Die haben zumindest weitaus mehr Spielzeit bisher bekommen und stehen wahrscheinlich bei Jürgen Klopp höher im Kurs, wenn es nach Einsatzmöglichkeiten und gezeigten Leistungen geht.

In der letzten Saison hätte es nur neun (!) Spiele gegeben, in denen Wilson tatsächlich viel Einsatzzeit bekommen hätte. Brewster scheint großes Vertrauen vom Boss als „Ersatz“ für Daniel Sturridge bekommen zu haben. Im Endeffekt bedeutet das, dass selbst, wenn das gesamte Stürmertrio um Firmino, Salah und Mané nicht eingesetzt wird, es weiterhin bedeuten könnte, dass Wilson keine bis sehr wenig Einsatzzeit bekommt.
„Sorry Seems to Be the Hardest Word“
Wenn wir im Transferfenster keine weiteren Transfers verbuchen und uns im Winter zwei bis drei Stürmer fehlen, wird die Entscheidung bezüglich Harry Wilson zweifellos dumm aussehen. Für die Fans zumindest.
Wenn wir uns allerdings wieder einem Szenario wie letzte Saison nähern in den Origi mehrmals eingewechselt wird und den Siegtreffer gegen Everton einnetzt, die Entscheidung in einem Champions League Spiel herbeiführt oder Shaqiri United absägt, dann werden Fans die Entscheidung und den Ärger über Jürgen Klopps Entscheidung vergessen haben oder vielleicht sogar zustimmen. Vielleicht war es dann ja richtig einen Neuling, der mit 22 Jahren noch keinen Einsatz für die Reds zu verbuchen hat in einem Wettbewerb auszusenden um mehr Erfahrung zu sammeln. Genau so wie Marko Grujic.
Schlechtes Timing?
Neben dem Talent ist das Timing der wichtigste Faktor für den Durchbruch eines Fußballspielers. Und das Timing könnte für Wilson nicht schlechter sein, oder? Die Zeit zum Experimentieren hat er nicht mehr, wenn er den Durchbruch bei Liverpool will. Meiner eigenen Einschätzung nach ist er sogar schon auf dem Niveau eines Spielers der ersten Mannschaft.

Jürgen Klopp hat ein Team zusammen gestellt, dass letzte Saison wie auch in den kommenden Saisons die besten Spieler, die beste Leistung in der besten Besetzung hervorbringen wird. Er scharrt Spieler um sich, die seiner Philosophie zu 100 Prozent folgen, alles geben im Training und gegen die größten und kleinsten Gegner. Der Boss weiß genau, was er von jedem einzelnen Spieler erwarten kann.
Football without Wilson is nothing
Ist Wilson denn besser als Shaqiri oder Divock Origi? Der geneigte Fan mag direkt „JA!“ sagen oder etwas abwägen und erwidern: „Auf keinen Fall schlechter!“ Das mag auch alles sein. Beweisen konnte und wird er das direkt für die Reds nicht. Wilson steht nämlich jetzt vor einer noch größeren Herausforderung, als beim Liverpool FC zu spielen.
Wilson bekommt jetzt die Möglichkeit in der Premier League bei einem Club zu spielen, der maximal zum Mittelfeld der Premier League gehört. Hier kann er die „Füße sprechen lassen“, die Leistung zeigen, die Jürgen Klopp sehen will. Wilson muss sich jetzt bei einem Club beweisen, der viele Tugenden besitzt, die dem Liverpool FC ähnlich sind. Er tritt jetzt größtenteils gegen stärkere Gegner an.
Schafft es Wilson sich bei Bournemouth zu beweisen und ähnliche Leistungen wie bei Derby abzurufen und wie Marko Grujic bei der Hertha, dann stehen ihm nächste Saison mit 23 Jahren alle Türen offen – sicherlich auch bei Jürgen Klopp.
Ich glaube fest daran, dass Wilson auch sein Premier Debüt für Liverpool geben kann. Dann halt nächste Saison. Und dann freue ich mich schon auf die Kamera, die auf den Großvater schwenkt, wie er weinend auf der Tribüne steht. Weinend vielleicht auch, weil er weiß, dass er am nächsten Tag zu seinem Buchmacher gehen kann. Mit einer großen Tasche.

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