Der Liverpool FC ist nicht erst seit der Ankunft von Sadio Mané, Mohamed Salah und Roberto Firmino für eine unglaubliche Offensivwucht bekannt. Immer wieder hat es Fußball-Feste in Anfield gegeben – und vor allem ein Spiel fällt den meisten Anhängern direkt ein: der 8:0-Kantersieg in der Champions League gegen Besiktas Istanbul 2007.
Am 6. November 2007 stand der LFC mächtig unter Druck. In der Gruppenphase der Königsklasse drohte dem damaligen amtierenden Vize-Champion schon der Knockout. Nach drei Duellen hatte die Auswahl von Rafa Benitez lediglich einen Zähler auf dem Konto. Zwar reichte es zu einem 1:1 beim FC Porto, doch die beiden weiteren Duelle gegen Olympique Marseille (0:1, in Anfield) und bei Besiktas Istanbul (2:1, Inönü-Stadion) verloren die Reds.
Druck nach schwachem Start
Als Top-Favorit in der Grupp A gestartet, lag die von Steven Gerrard angeführte Mannschaft nach nur drei Begegnungen am Boden. Deshalb avancierte das Heimspiel gegen den türkischen Vertreter zum Schlüsselspiel – und wie so oft, sollten nicht nur die Zuschauer an der legendären Anfield Road liefern.
Dabei sorgte die Aufstellung zunächst für Verwirrung: Die torgefährlichen Fernando Torres und Dirk Kuyt saßen auf der Bank, stattdessen vertraute der spanische Chefcoach auf eine eher defensiv ausgerichtete Elf: Pepe Reina – Sami Hyypiä, John Arne Riise, Fabio Aurelio (63. Ryan Babel), Alvero Arbeloa, Jamie Carragher – Steven Gerrard (73. Lucas Leiva), Yossi Benayoun, Javier Mascherano – Andrij Voronin (72. Harry Kewell), Peter Crouch.
„El Nino“ und der stets fleißige Niederländer sollten die vollen 90 Minuten auf der Bank sitzen – und dafür gab es einen guten Grund: Liverpool zeigte eine der besten Offensivdarbietungen in der Geschichte der Champions League. Bis Mitte 2019 ist das 8:0 gemeinsam mit dem 8:0 von Real Madrid im Jahre 2015 gegen Malmö FF der höchste Erfolg seit Einführung der Königsklasse 1992.
Crouch trifft im Nachsetzen
Die „Reds“ zeigten von Beginn an, dass sie dieses Match gewinnen wollten. Und auf den ersten Treffer sollten die 41.143 Zuschauer nicht allzu lange warten: In der 19. Minute passte Voronin etwas ungenau in die Spitze, doch ein Verteidiger fälschte den Ball in den Lauf von Crouch ab. Der 2,02 Meter große Schlacks verwertete seinen eigenen Rebound und schloss zur 1:0-Führung ab.

Nach der Schlappe gegen Marseille war das der erste Treffer während der Gruppenphase in Anfield. Wenige Minuten später verpasste Riise das 2:0, doch der Norweger initiierte wenig später den nächsten Angriff. Er schickte Voronin mit einem schnell wie lang ausgeführten Einwurf. Die Nummer zehn der Reds bediente mustergültig Benayoun, der im Strafraum eiskalt verwandelte (35.).
Die Gäste aus Istanbul hatten bis zum Seitenwechsel quasi gar nicht stattgefunden. Hielt sich das Ergebnis da mit 0:2 noch im Rahmen, brachen im Anschluss alle Dämme. Was Liverpool im zweiten Durchgang darbot, hat bis zur Gegenwart Seltenheitswert. Mit einem unglaublichen Torhunger zerlegte die Benitez-Elf den Gegner nach allen Regeln der Kunst.
Einfach nicht zu stoppen: Raumdeuter Benayoun
Vor der berühmten Tribüne „The Kop“ drehte der LFC weiter auf. Riise, der sich in dieser Partie vornehmlich im Angriff zeigte, kam nach einem Doppelpass mit Voronin zum Abschluss. Keeper Hakan Arikan wehrte den Ball vor die Füße Benayouns ab, weshalb der Israeli nur noch einschieben musste (53.). Nur drei Zeigerumdrehungen später wiederholte sich das Bild: Einen Gerrard-Freistoß ließ der überforderte Istanbul-Keeper nur klatschen, weshalb der Elfer seinen Dreierpack vollenden konnte (56.).

War die Begegnung mit dem zwischenzeitlichen 4:0 schon längst entschieden, hatten weder Heimteam noch Zuschauer genug von dem Spektakel. Der eingewechselte Ryan Babel brachte neuen Schwung und servierte gleich zweimal für „Stevie G“, doch der Skipper benötigte einen dritten Anlauf: Nach einer Kombination mit dem kreativen Voronin knallte Gerrard das Spielgerät hart von rechts in den Strafraum kommend auf den Kasten und überwand einen abermals unglücklich aussehenden Arikan (69.).
Zeit für Zauberei – und Kuriositäten
Zugegeben vier der fünf Tore, die bis zur 70. Minute gefallen waren, werden mit Sicherheit nicht als Geniestreiche in die Annalen eingegangen sein. Mit der Sicherheit des Resultats wuchs aber auch das Selbstvertrauen. Benayoun flankte flach auf den kurzen Pfosten, auf den Babel eingelaufen war. Der Niederländer zauberte das 6:0 per Hacke ins Netz (78.).
Die angesprochene Torgeilheit verdeutlichte sich beim nächsten Treffer: Viele Mannschaften hätten bei einem derart hohen Vorsprung das Tempo rausgenommen, aber nicht Liverpool an diesem Abend. Der Kader lief ein um das andere Mal an und setzte das hoffnungslos überforderte Besiktas nahtlos unter Druck. Babel presste in der 81. Minute auf Verteidiger Ibrahim Toraman, der vor dem eigenen Sechzehner klären wollte. In diesen Befreiungsschlag sprang Babel rein und wurde getroffen. In einer Art Bogenlampe landete der Ball zum siebten Mal in den Maschen des trostlosen Istanbul-Schlussmannes.

Für das historische Ergebnis war dann wieder Crouch verantwortlich. Der Stürmer machte den Abend sozusagen rund, weil er schon die erste Bude markiert hatte. Mascherano wechselte gekonnt die Seiten auf den rechten Flügel. Von dort aus flankte der nicht zu stoppende Benayoun maßgenau auf den eigelaufenen Engländer, der seinen Größenvorteil nutzte und per Kopf traf (89.).
Lauf bis ins Halbfinale
Die TV-Kameras fingen nach dem Abpfiff des deutschen Schiedsrichters Markus Merk viele weinende Besiktas-Fans an. Ihnen wird wohl schnell bewusst geworden sein, welchen historischen Ausmaß dieser Abend für sie einnehmen würde. Auf der anderen Seite entwickelte sich beim LFC eine abermalige Europapokal-Dynamik, wie sie es schon so oft gegeben hat.
In der Premier League reichte es für Rang vier, in der Champions League verpasste Liverpool nur knapp das Finale. Die verbliebenen Duelle in der Gruppenphase endeten deutlich zugunsten von Gerrard und Co.: ein 4:1 gegen Porto und ein 4:0 in Marseille. Im Achtelfinale wurde Inter Mailand (2:0, 1:0) ausgeschaltet, dann reichte es in Summe für ein 5:3 gegen Arsenal (1:1 und 4:2). Der Lauf endete jedoch im Halbfinale gegen Chelsea. Nach einem 1:1-Remis im Hinspiel setzten sich die Londoner in der Verlängerung mit 3:2 an der Stamford Bridge durch, unterlagen dann aber im Endspiel Manchester United (5:6 nach Elfmeterschießen).

Das 8:0 gegen Besiktas Istanbul rettete den Liverpool FC damals die Saison, weil dieses historisch positive Ereignis eine gewaltige Energie freigesetzt hatte. Dieser einmalige Champions-League-Abend in Anfield war derart dominant und imposant, dass noch in Dekaden über diese Darbietung gesprochen wird. Istanbul liegt Liverpool – und das nicht exklusiv 2005.
Funfact: Im Europapokal der Landesmeister – dem Vorgänger-Wettbewerb der Champions League – schaffte der LFC einen noch höheren Erfolg. OPS Oulu (Finnland) kassierte am 1. Oktober 1980 eine krachende 1:10-Klastsche.