Unser Zuhause, das legendärste und mit Abstand beste Stadion der Welt, hat etwas, was kein anderes Stadion besitzt. Bei jedem einzelnen Besuch wird klar, dass dieser Mythos für die Ewigkeit ist und keine moderne “Arena“ jemals eine solche Aura haben kann. Aber warum genau können wir uns Liverpool-Anhänger so enorm glücklich fühlen, Anfield unser Zuhause nennen zu können?
Natürlich haben auch andere Stadien ähnliche oder gleiche Eigenschaften wie Anfield, aber in diesem Artikel konzentrieren wir uns auf unser Zuhause. Dortmund hat die gelbe Wand, Celtic als einziger britischer Verein Safe Standing oder das Millerntor eine diverse Fangemeinschaft – wir haben Anfield.

Zuerst einmal ist Anfields Geschichte sehr eng mit unseren Nachbarn, denn Evertonians, verbunden. Vor 1892 war Anfield das Zuhause der Bluenoses und nur wegen eines Streits zwischen John Houlding und den damaligen Pächtern Anfields, also Everton, suchten sich diese einen neuen Ort, um ihre Heimspiele auszutragen. Sie durchquerten in einem kleinen Spaziergang den Stanley Park und errichteten am anderen Ende den Goodison Park. Damit Anfield wieder eine Fußballmannschaft beheimaten konnte, gründete Houlding seinen eigenen Verein – unseren geliebten Liverpool FC.
Wir haben also unsere Existenz Anfield zu verdanken, denn ohne dem Streit zwischen Houlding und den Toffees würde wahrscheinlich heute kein Evertonian von “powershift on Merseyside“ sprechen und Jordan Pickford hätte uns niemals den geilsten Derbysieg der Geschichte schenken können – der LFC wäre schlicht nicht existent.
Es gibt nicht viele Stadien, die behaupten können, die Ursache für die Gründung des geilsten Vereins der Welt zu sein. Das kann nur Anfield. Alleine dieser Umstand macht Anfield schon besser als neunzig Prozent aller anderen Stadien, aber natürlich kommt noch mehr dazu.
Keine Arena, sondern ein Stadion
Fast alle modernen Stadien werden als “Arena“ bezeichnet – Anfield bleibt glücklicherweise davon verschont. Anfield fehlen die Charakteristiken einer Arena – nämlich ein weites Rund zu sein. Nehmen wir zum Beispiel das Olympiastadion von West Ham United (die große Mehrheit der West Ham Fans hasst ihr eigenes Stadion) oder irgendeine generische WM-Spielstätte. Die Tribünen sind so weit vom Spielfeld entfernt, dass man das Gefühl bekommt, gar nicht richtig dabei zu sein.
Die Architektur passt sich nicht dem Spielfeld an und somit machen auch die Tribünen einen weiten Bogen um das Spielfeld. Arenen mit einer Leichtathletikbahn sind noch schlimmer, denn die Distanz von den Rängen zum Spielfeld ist enorm. Das Londoner Olympiastadion wurde ursprünglich für die Sommerolympiade 2012 gebaut und ist eigentlich ein Leichtathletikstadion. Dieses Beispiel zeigt aber trotzdem, was beim Bau von Fußballstadien alles schief gehen kann.

Anfield ist eckig und passt sich dadurch der Form des Spielfelds an, was dazu führt, dass die Fans viel näher am Geschehen sind. Vom unteren Sir Kenny Dalglish Stand fehlt nicht viel und man könnte die Spieler mit einem ausgestreckten Arm berühren – diese Nähe zu den Spielern gibt es nicht mehr oft.
Ein weiterer Vorteil von eckigen Stadien ist, dass die Ränge steiler als bei runden Stadien sind. Als Vergleich können wir das Wembley Stadion nehmen: Der unterste Rang ist enorm flach und dadurch sind die hintersten Sitzreihen vom Spielfeld weit entfernt. Alle vier Ränge Anfields gehen steil nach oben – was zwar dazu führt, dass man weiter oben ist, aber dafür näher am Spielfeld.
Anfields Spielfeld ist mit 101 x 68 Metern eines der kleinsten der Premier League (4 Meter kürzer als die meisten Spielfelder), was weiter zur Intimität beiträgt. Gegnerische Spieler können sich so weniger in der Tiefe des Raumes verstecken und es ist schwieriger, einem Tackling zu entgehen. Auf dem Spielfeld kann man sich im Vergleich zu großzügigen Arenen ein bisschen eingeengt fühlen – noch etwas, was nicht viele Stadien haben.
Inmitten von Wohnquartier

Viele andere Stadien befinden sich außerhalb der Stadt irgendwo neben einer Autobahn oder Bahnlinie. Sie sind nicht an die Stadt angebunden, von welcher der Verein herkommt.
Anfield ist das pure Gegenteil. Unser Zuhause liegt inmitten von alten Terrassenhäusern und ist somit an die Stadt Liverpool angebunden. Der LFC ist historisch ein Verein der Arbeiterklasse und Anfields Position inmitten von Häusern dieser Leute symbolisiert diese Geschichte.
Bei der Anreise läuft man unweigerlich durch enge Straßen und Gassen hindurch. Andere Stadien haben rundherum einen großen Freiraum, was aber nicht annähernd soviel Charakter hat wie die Umgebung Anfields. Nehmen wir nochmals den Vergleich zu West Hams Olympiastadion, welches von Shoppingzentren und anderen Konsumeinrichtungen umgeben ist. Der Kontrast zum alten Boleyn Ground, auch Upton Park genannt, ist in dieser Hinsicht unübersehbar. Anfield hat so etwas glücklicherweise nicht. Vor dem Spiel kann man sich in einem der vielen Pubs rund um Anfield ein Pint gönnen – bei West Ham muss man entweder in der Londoner Innenstadt in ein Pub gehen oder im Stadion ein überteuertes Bier trinken.

Die engen Gassen rund um Anfield sind auch optimal für Empfänge der Fans vor wichtigen Spielen. Die Spielerbusse können den Fans auf den Straßen gar nicht ausweichen. Szenen wie bei den letzten Heimspielen 2013/14, den Europa League Spielen gegen Dortmund und Villarreal 2015/16 oder letzte Saison in der Champions League gegen Manchester City und die AS Roma gibt es im englischen Fußball nur in Liverpool. Weshalb? Weil die Umgebung Anfields für solche Busempfänge optimal ist. Natürlich liegt es auch daran, dass die Liverpool-Fans die besten der Liga sind, aber die Umgebung Anfields ist dabei genauso entscheidend. Old School in der besten Ausprägung.
Keine Tribüne erzeugt Stimmung wie der Kop
Anfield ist der einzige Ort der Premier League, wo vor dem Spiel ernstzunehmende Flaggen wehen. In allen anderen Stadien sind Flaggen entweder verboten oder die Fans machen sich nicht die Mühe, welche mitzubringen. Die Flaggentradition in Anfield kommt daher, dass der Kop der Geburtsort der Fankultur ist. Als in den frühen bis Mitte Sechzigerjahre der Merseybeat mit den Beatles auf dem Höhepunkt angelangt war, war es der Kop, der regelmäßig zu singen anfing. Der Kop wurde mit Flaggen, Bannern und Schals immer farbiger.
Als der alte Spion Kop 1994 mit einer Kapazität von etwa 30.000 Stehplätzen abgerissen wurde, ging zwar viel von der alten Liverpooler Fankultur verloren, aber der jetzige Kop ist immer noch das Beste, was England zu bieten hat – ohne die Flaggen, Banner und Schals des Kops ist Anfield unvorstellbar. Die Fankultur wird im Kop von Generation zu Generation weitergegeben und auch heute noch stehen die Fans im Kop – bei wichtigen Spielen stehen die Fans auch in den unteren Reihen im Rest von Anfield.

Auch an der Stamford Bridge wehen vor jedem Spiel Flaggen. Diese Flaggen werden aber von dafür bezahlten Mitarbeitern auf dem Spielfeld geweht und nicht von den Fans selbst. Die vom Verein bereitgestellten Plastikflaggen, welche die Chelsea-Fans vor allem während den Nullerjahren wehten, bleiben unvergessen. Irgendwie bemitleidenswert – aber wer hat schon Sympathie mit Chelsea?
Die Tradition, in Anfield zu singen, spiegelt sich auch in unserer Hymne, „You’ll never walk alone“, wieder. Anfield war der erste Ort, wo sie gesungen wurde und seitdem kopieren viele andere Vereine uns. An manchen Orten wird das sehr ordentlich getan, wie zum Beispiel bei Celtic Glasgow. Anfield ist und bleibt aber das einzige Fußballstadion, wo YNWA in der Version von Gerry & the Pacemakers völlig legitim gesungen wird. Andere Vereine lassen beim Einlaufen der Spieler billige Chartsongs aus den Boxen dröhnen, während wir regelmäßig bei YNWA laut genug sind, sodass die Lautsprecher verstummen.

Die Liverpool-Fans kreieren regelmäßig neue Songs und die Vielfalt an alten Songs ist ebenso beeindruckend. Hat irgendjemand schon mal einen Spielersong der United Fans gehört, der über den bloßen Namen des jeweiligen Spielers hinausgeht? Wohl eher nicht. Die Songs für Mo, Virgil oder Bobby übertreffen alles, was die Fans unserer Rivalen für ihre Spieler singen. Und das sind nur die Songs für die aktuellen Spieler. Wer erinnert sich an die fantastischen Songs für Torres oder Suarez? Oder natürlich der Gerrard-Song, von dem es zwei Versionen gibt? Ganz zu schweigen von den unzähligen anderen Songs wie zum Beispiel Poor Scouser Tommy, Fields of Anfield Road oder Allez Allez Allez.
Der Name „Kop“ bedeutet soviel wie steil aufragende Tribüne, wo die Fans stehen. Diese Bezeichnung ist sehr passend, denn der Kop ist relativ zu anderen Tribünen steil und ein Einzelrang – solche Einzelränge haben gegenüber Doppelrängen den Vorteil, dass sie in sich geschlossen sind. Nehmen wir als Vergleich die Südtribüne des Westfalenstadions, die durch die steil aufsteigenden Reihen sehr beeindruckend ist und nicht umsonst als gelbe Wand bezeichnet wird. Die Fans sind nicht durch einen zweiten Rang vom Rest abgeschnitten, sondern bilden eine homogene Einheit. Um Stimmung zu kreieren, ist das sehr wichtig. Wir können uns wirklich glücklich schätzen, dass der Kop ein Einzelrang ist. Tottenham versuchte, in ihrem neuen Stadion den Kop zu imitieren, aber das wird ihnen nicht gelingen, denn die Spuds wissen nicht, wie das geht.

Die Namensgebung des Kops hat eine Vorgeschichte. Im Jahre 1900 kamen auf dem südafrikanischen Berg “Spion Kop“ viele Scouser ums Leben, als die Britische Armee in einer Schlacht um den Spion Kop kämpften. Um dem Tod der vielen Liverpudlians zu gedenken, wurde Anfields Tribüne neben der Walton Breck Road Spion Kop benannt. Dieser Name hatte bis zum Abriss der Stehtribüne 1994 bestand – heute ist es nur noch der Kop.
Auswärtsfans haben einen angemessenen Platz
Auswärtsfans gehören zu einem Fußballspiel genauso dazu wie leere Sitze im Emptyhad Stadion. Viele Stadien nehmen das aber nicht ernst und platzieren die Auswärtsfans irgendwo in einer Ecke im obersten Rang des Stadions. Damit wird zwar die Unterstützung für den Gegner eingedämmt, aber wollen wir das wirklich? Wir wären auch nicht begeistert, bei Auswärtsspielen so platziert zu werden, dass wir einerseits aus großer Entfernung nicht viel sehen und andererseits nicht Einfluss auf die Spieler nehmen könnten. Negativbeispiele sind das Camp Nou in Barcelona oder das Bernabéu in Madrid. In Anfield befinden sich die Auswärtsfans in der linken unteren Ecke des Anfield Road Stands und können ihren wichtigen Teil zur Atmosphäre beitragen.
Anfield beeinflusst Spiele
Gegnerische Mannschaften mussten schon unzählige Male erfahren, was Anfield für einen Einfluss auf das Spielresultat haben kann – die besten Beispiele dazu sind European Nights. Von den legendären Nächten der 70er und 80er Jahre bis hin zur unmittelbaren Vergangenheit wurden gegnerische Mannschaften von der Lautstärke und Leidenschaft unserer Fans überwältigt.
Gianluigi Buffon erinnert sich an das Champions League Viertelfinale 2004/05 mit Juventus Turin gegen Liverpool zurück: „Anfield ist eines der wenigen Stadien – neben dem Ibrox und dem Stadion von Fenerbahce Istanbul – wo es so laut war, dass ich Schwierigkeiten hatte, mich zu konzentrieren“.
Auch John Terry erinnerte sich in seiner Autobiographie an das Champions League Halbfinale 2005 zurück: „So etwas hatte ich noch nie gehört und ich denke, dass ich nicht nochmals so etwas hören werde. Die Haare an meinen Armen standen auf“. Er erinnerte sich später ein zweites Mal an diesen Moment zurück: „Nach Anfield zu gehen, war schrecklich. Man fuhr mit dem Bus 30 Minuten vom Hotel zum Stadion und die Liverpool-Fans waren überall auf der Straße, provozierten einem und schossen Dinge gegen den Bus. Es war ein Albtraum. Anfield war gleichzeitig der beste und schlechteste Ort, um zu spielen“.

Nicht nur wird der Gegner regelmäßig überwältigt, sondern die Liverpool-Fans motivieren die eigenen Spieler bis ins Unendliche. Viele Liverpool-Spieler äußerten sich, dass sie nur wegen der Unterstützung Anfields gegen auf dem Papier bessere Gegner gewinnen konnten. 2005 war Chelsea haushoher Favorit, genauso wie Manchester City im Frühling des letzten Jahres – beide Mal setzte sich jedoch Liverpool durch, weil Anfield bei wichtigen Spielen nicht enttäuschte. Wenn alles zusammenpasst, kommt der Lärm von allen vier Seiten und vereinigt sich zu einer Stimme und dann kann es Liverpool mit jedem Gegner aufnehmen. Jedem Gegner. Gegnerische Mannschaften werden auch in Zukunft den Fehler machen und die Kraft von Anfield unterschätzen. Uns gefällt das natürlich.
Anfield und die Zukunft
Damit Anfield auch in Zukunft keine seelenlose Arena wird, muss auch weiterhin die Geschichte ernst genommen werden. So ist es sehr positiv, dass Anfield vergrößert wurde und nicht einer neuen Arena weichen musste. Diese Erweiterung hat aber auch eine Schattenseite, denn der legendäre enge Spielertunnel wurde durch einen breiteren ersetzt. Diese Neuerung entzog definitiv Charakter von Anfield. Eine weitere Stärke Anfields ist die moderate Größe. In zu großen Stadien verliert man sich oft in der Weite. Eine zukünftige Vergrößerung sollte also mit allen Mitteln verhindern, dass Anfield zu groß wird.
This is Anfield
Weiterhin hängt das This is Anfield Schild oberhalb des Spielertunnels. Bis Liverpool einen Titel gewinnt, verbietet es Klopp, dass die Spieler das von Shankly eingeführte Schild berühren. Es dient also als Verbindung der Vergangenheit zur Gegenwart und soll die Spieler dazu motivieren, endlich wieder einmal etwas zum Trophäenschrank beizutragen.

Gleichzeitig erinnert es die Gegner, wo sie sich befinden. In Anfield – dem Stadion, welches unsere ganze Vereinsgeschichte in sich trägt und wo schon Legenden wie Kenny, Barnes, Rush, Callaghan, „God“ Fowler, Keegan, Carragher oder Gerrard den Ball umher kickten. Andere Vereine ziehen in neue Arenen, während wir Anfield haben. Egal ob es Spiele für die Ewigkeit oder bittere Niederlagen waren, dieses Stadion ist ein offenes Geschichtsbuch, bei dem jede Seite etwas ganz spezielles zu erzählen hat. This is Anfield.