Istanbul ist ohne Zweifel die legendärste Nacht unserer Vereinsgeschichte – ohne Steven Gerrard’s Tor zum 3:1 im letzten Gruppenspiel gegen Olympiakos Piräus wäre es aber niemals dazu gekommen. Es war einer dieser Gerrard-Momente, welche unseren Skipper zur Legende werden ließen.
Mellor, lovely cushioned header, for Gerrard! OH YE BEAUTY! WHAT A HIT SON, WHAT A HIT! Heute vor genau 14 Jahren war Anfield am kochen, obwohl es lange nicht danach ausgesehen hatte. An dieser legendären European Night wurde nicht nur fast das Tornetz zerschossen, sondern auch die unvergesslichen Worte ausgesprochen, bei denen es jedem Liverpool-Anhänger kalt den Rücken runter läuft. Aber der Reihe nach.
Rafael Benitez wurde zu Beginn der Saison 2004/05 als Nachfolger von Gerard Houllier zum neuen Liverpool-Trainer ernannt. Anfangs der Saison waren die Erwartungen an den Spanier nicht allzu hoch, denn die Reds schlossen die Spielzeit davor mit 30 Punkten Rückstand auf Meister Arsenal auf Rang vier ab. Zudem scheidete Liverpool im damaligen UEFA Cup gegen Olympique Marseille bereits im Achtelfinale aus. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch niemand ahnen, zu was für unglaublichen kontinentalen Höhenflügen die Redmen ansetzen werden.

Rafa musste die Redmen zuerst durch die dritte Qualifikationsrunde der Champions League navigieren. Dort wartete der österreichische Verein Grazer AK, gegen den Liverpool auswärts mit 2:0 gewann und in Anfield mit 0:1 verlor. Infolgedessen qualifizierte sich Liverpool nach einjähriger Abstinenz wieder für die Königsklasse.
Die Auslosung zur Gruppenphase schien den Reds ein gutes Los gebracht zu haben: Mit dem AS Monaco, Olympiakos Piräus und Deportivo La Coruña war kein europäisches Schwergewicht dabei. Trotzdem sollten es die Reds sehr lange spannend machen.
In der heimischen Premier League lief es auch 2004/05 alles andere als gut. Liverpool kämpfte mit Everton um den vierten Platz und später sollte das noch große Relevanz haben. Beim Spieltag des Olympiakos-Spiels dümpelten die Reds auf dem siebten Rang herum und hatten neun Punkte Rückstand auf die Toffees. Schon zu diesem Zeitpunkt schien es klar, dass sich Liverpool wohl nur durch den Sieg der Champions League für die Gruppenphase der nächsten Saison qualifizieren kann.

Am 8. Dezember 2004 war es dann soweit und Gerrard war nach eigener Aussage nicht hundert Prozent fit. Anfield war sich der schwierigen Ausgangslage bewusst. Liverpool konnte in den vorherigen fünf Gruppenspielen nicht überzeugen und verlor auswärts gegen Olympiakos sowie Monaco. Die Tabellensituation vor dem letzten, alles entscheidenden Spieltag war wie folgt:
- Olympiakos Piräus 10 +2
- AS Monaco 9 +1
- Liverpool FC 7 +1
- Deportivo La Coruña 2 -4
Die Reds mussten also gegen die Griechen gewinnen, um in die Achtelfinals einzuziehen. Von Deportivo, die Zuhause gegen Monaco spielten, durften die Reds keine Hilfe erwarten und so kam es auch. Im Parallelspiel besiegten die Monegassen die Spanier mit 5:0.
Liverpool verlor das Hinspiel in Piräus mit 0:1 und brauchte für das Weiterkommen einen Sieg mit mindestens zwei Toren Unterschied. Die folgenden elf Reds sollten diese schwierige Aufgabe meistern:
Kirkland; Finnan, Carragher, Hyypiä, Traoré; Núñez, Gerrard, Alonso, Riise; Kewell, Baroš
Die Gäste aus Griechenland verpassten den Reds nach 26 Minuten eine kalte Dusche, als Rivaldo einen Freistoß aus etwa 20 Metern vor dem Kop durch die Liverpooler Mauer ins Tor schoss. Jetzt musste beinahe ein Wunder her, denn die Reds brauchten drei Tore. Es waren Leader gefragt, welche die Mannschaft und Anfield mitreißen konnten. Zur Halbzeit stand es 1:0 für Olympiakos und in der zweiten Spielhälfte attackierten die Redmen den Kop.
Benitez reagierte und brachte nach der Halbzeitpause Sinama-Pongolle für Linksverteidiger Djimi Traoré. Dieser Wechsel machte sich umgehend bezahlt, denn Pongolle schoss nach klasse Vorarbeit von Kewell auf der linken Außenbahn den 1:1 Ausgleich. Hier war etwas möglich! Anfield spürte es.

Danach drückte Liverpool auf den nächsten Treffer und warf alles nach vorne. Das 2:1 kam aber lange nicht und den Reds lief die Zeit davon. Benitez wechselte erneut und brachte nach 78 Minuten Neil Mellor für Milan Baroš. Benitez wechselte in diesem Spiel sehr intelligent, denn auch Mellor sollte kurze Zeit später entscheidend sein.
Nur drei Minuten nach seiner Einwechslung gab Mellor den Reds nochmals Hoffnung. Xabi Alonso lupfte einen Freistoß aus halbrechter Position knapp vor dem Strafraum auf das linke Eck des Fünfmeterraums, wo ein Olympiakos-Spieler zunächst aber klären konnte. Jamie Carragher konnte den Ball in der Folge kontrollieren, wurde aber von einem Olympiakos-Spieler hingelegt. Wahrscheinlich hätte das einen Elfmeter geben müssen, gab es aber nicht und Liverpool blieb im Strafraum im Ballbesitz. Pongolle kam an den Ball und chipte den Ball wieder in den Fünfmeterraum, wo Núñez zum Kopfball kam, dessen Schuss aber zunächst pariert wurde. Mit dem Nachschuss erzielte dann Neil Mellor akrobatisch die 2:1 Führung. Es gab noch Hoffnung.
Danach wurde es hektisch. Der Kop wurde wieder mal zum Staubsauger und tat alles dafür, um den Ball ins Tor zu saugen. Wenn der Kop ruft, müssen die Reds folgen. Es lief die 86. Minute in Anfield und es stand 2:1 für Liverpool, was aber nicht genug war – die Reds brauchten noch ein Tor. Es kam in der Urgewalt von Steven Gerrards rechtem Fuß.
Carragher hatte den Ball auf der linken Angriffsseite und suchte verzweifelt nach einer Anspielstation im Strafraum. Schließlich fand er Mellor mit einem hohen Ball, welcher per Kopf butterweich zentral vor den Strafraum zurücklegte. Der Ball prallte einmal vom Boden ab und fiel perfekt auf den Fuß Gerrards. Der Skipper zögerte keinen Augenblick und schwang sein rechtes Bein komplett durch, sodass nach Ballabgabe das Bein horizontal relativ zum Boden war. Eine solche Schusstechnik hat nur Gerrard. Der Ball wurde in Bruchteilen einer Sekunde so fest beschleunigt, dass der Olympiakos-Torhüter nicht den Hauch einer Chance hatte. Der Ball schlug halbhoch im rechten Eck des Kop-Tores ein und versetzte Anfield ins Delirium. Das wohl beste Tor in Gerrards Karriere.
Der 3:1 Sieg führte dazu, dass sich Liverpool in der Saison 2004/05 für das Champions League Achtelfinale qualifizierte und Olympiakos als drittplazierte Mannschaft im UEFA Cup weiterspielte. Der Rest dieser CL-Saison ist Vereinsmythos. Kleiner Fun Fact: Durch Liverpools Gewinn der CL, musste Everton, obwohl sie 2004/05 Vierter wurden, in den UEFA Cup. Es waren maximal vier englische Mannschaften erlaubt und Titelverteidiger Liverpool wurde den Toffees vorgezogen.
Aber schaut es euch doch selbst im Video an. Der Kommentar dazu von Andy Gray und Martin Tyler ist dabei ebenso legendär wie das Tor selbst.

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In Gerrards eigenen Worten
Die Reds Legende reflektierte im Jahr 2015 nochmals die Geschehnisse an diesem Spiel:
„Das Timing des Tores und was in dieser Nacht gebraucht wurde. In der Umkleidekabine nach dem Spiel realisierte ich, dass das ein wichtiges Tor war und dem Team half, weiterzukommen. Aber es war erst, als sich die Nachwehen von Istanbul einige Wochen später ein wenig gelegt hatten, wo ich realisierte, dass das Olympiakos Tor ein extrem wichtiges war“.
Da hat Gerrard absolut Recht. Ohne dieses Tor gäbe es die wohl legendärste Saison der Vereinsgeschichte nicht. Keine Luis Garcia Show gegen Juventus im Viertelfinale, kein Geistertor gegen Chelsea im Halbfinale und kein Istanbul. Unvorstellbar, aber zum Glück gibt es Steven Gerrard.