Wir sind am Scheideweg des Fußballs angekommen, so wie wir ihn kennen: Wollen wir nur noch Neymars und Salahs, aber keine Troy Deeneys oder Jamie Vardys mehr? Sollten wir uns auf die geschlossene Gesellschaft „Super League“ einlassen, würde genau das Realität.
Schon länger geistert der Gedanke einer neuen transkontinentalen Fußball-Liga, welche sich angeblich „Super League“ nennen will, durch die Sportmedien. Dabei sollen die besten Vereine Europas um die Krone spielen, wobei die Absicht dahinter offensichtlich ist: Die elitären Spitzenvereine wollen unter sich bleiben und den schon bis zum Maximum ausgequetschten Fußballmarkt weiter melken. Die Auswirkungen eines solchen neuen Formates wären für die kleineren Vereine verheerend und würde den Fußball, wie wir ihn kennen und lieben, komplett unterwandern.
Gemäß der Fußball-Enthüllungsplattform Football Leaks, ähnlich der politischen Enthüllungsplattform Wikileaks, arbeiten die mächtigen Funktionäre und Vertreter der besten Vereine Europas schon fleißig daran, den Vereinsfußball grundlegend zu verändern. Ein internationales Journalistenteam unter Federführung des deutschen Magazins Der Spiegel durchkämmte Millionen Dokumente, die ihnen von der anonymen Quelle Namens „John“ zugespielt wurden, welche brisante Details an das Tageslicht befördert. Weil John auf keinen Fall enttarnt werden will, trifft ihn ein Journalist vom Spiegel immer an verschiedenen Orten. Denn John fürchtet wegen seinen brisanten Enthüllungen verfolgt zu werden. Doch warum muss sich John verstecken? Verrät er etwa zu früh zu viel? Die Machtspielchen der europäischen Fußball-Elite sind in vollem Gang.
Die technokratischen Fakten sind simpel, auch wenn die Details zwischen den verschiedenen Enthüllungen variieren können: Die elf renommiertesten Vereine Europas (Liverpool, Real Madrid, Barcelona, Juventus Turin, Bayern München, AC Mailand, PSG, Arsenal, Chelsea, Manchester City und Manchester United) sowie fünf „Gastmannschaften“ (Atlético Madrid, Borussia Dortmund, Marseille, Inter Mailand und AS Roma) spielen in einem neuen Turnierformat unter sich, welches ab 2021 die UEFA Champions League ersetzen soll. Die elf Gründervereine könnten für 20 Jahre nicht in die ebenfalls neu gegründete zweite Liga absteigen. Somit gäbe es nur noch Begegnungen der besten Vereine Europas und das fußballerische Niveau würde innerhalb der Super League definitiv ansteigen.
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Was ist also an einer solchen Super League so verwerflich? Ist es nicht erstrebenswert, nur noch Topspiele auszutragen und eher langweilige Partien gegen kleine Vereine zu beseitigen?
Einerseits würde eine Abschottung der wenigen Spitzenvereine bedeuten, dass die nationalen Ligen ihre Aushängeschilder verlieren. Leidtragende davon wären die kleineren Vereine, welche im Gesamtgefüge des europäischen Fußballs sehr wichtig sind, sei es zur Ausbildung von Nachwuchstalenten oder als Beitragende der lokalen Identität – denn was unterscheidet heute noch den Liverpool FC vom FC Turin? Neben den offensichtlichen Dingen wie Stadion, Lokalität und Fankultur nicht viel, denn Fußballvereine sind aus Sicht derer Besitzer nur noch Unternehmen, die möglichst viel Gewinn abstoßen sollen. Im Falle eines Zustandekommens der Super League, dürfte sie im noch größeren Stil als heute schon die UEFA, welche es eh schon auf die Spitze treibt, die Vereine international vermarkten und die regionale Identität verwischen.
Wollen wir wirklich nur noch bis zur Unkenntlichkeit homogenisierte Vereine, die sich nur noch in den Farben der Trikots unterscheiden? Sind es nur noch die großen Vereine wert, international Aufmerksamkeit zu generieren?
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Natürlich nicht! Häufig haben die kleineren Traditionsvereine eine um Welten bessere Fankultur, als die weltweit vermarkteten Großclubs. Und was würde mit kleineren Vereinen wie zum Beispiel Brighton & Hove Albion (geschweige denn noch kleinere Vereine aus den zweiten Ligen und darunter) geschehen, wenn die Solidarität der Großclubs verschwindet? Die Hauptmotivation einer Super League ist so offensichtlich wie die Erde eine Kugel ist: Mehr Geld. Heute profitieren die kleinen Vereine von ihrer Ligazugehörigkeit und der Präsenz der Großen dahingehend, dass das generierte Geld bis zu ihnen durchgereicht wird, auch wenn dieser Anteil höher sein könnte. Die Super League steht für das genaue Gegenteil: Die nicht-elitären Vereine müssten für sich selbst schauen, die Auswirkungen sind nicht absehbar. Könnten sie überhaupt noch überleben?
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Das Niveau und die soziale Bedeutsamkeit des Fußballs als Ganzes würde auf jeden Fall sinken, wenn die besten Spieler nur noch in einer abgeschotteten Liga spielten. Außerdem, wer will denn nur noch Topspiele sehen? Klar fiebern wir den Partien gegen andere Spitzenvereine mehr entgegen, aber auch Duelle gegen Fulham oder Roter Stern Belgrad haben ihren Charme. Und eigentlich sind es doch nur Topspiele, weil wir als Fan auch den Gegenpart am nächsten Wochenende gegen Cardiff City oder Crystal Palace haben.
Warum nenne ich Roter Stern Belgrad? Weil wir gegen sie in der Champions League 0:2 verloren haben, weil wir einfach schwach spielten und uns von der Atmosphäre in Belgrad scheinbar beeindrucken ließen – wollen wir das alles verlieren? Wollen wir nur noch in Stadien mit geheizten Sitzen und einer überfreundlichen Atmosphäre sein? Verdammt NEIN! Auch Fußball-Randregionen haben es verdient, einmal im Rampenlicht zu stehen und nicht nur die Bling-Bling-Elite. Natürlich bin ich trotzdem noch angefressen von diesem Resultat, nicht dass wir uns falsch verstehen.
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Eine weitere ungeklärte Frage sind die Nationalmannschaften – heute sind alle Vereine dazu verpflichtet, ihre Spieler für Länderspiele abzustellen. Im Falle eines Austritts aus den Länderverbänden, was die einzige Möglichkeit zur Gründung einer Super League ist, könnten sich die Super League-Vereine weigern, ihre Spieler für die Länderspiele abzustellen. Eine Europa- oder Weltmeisterschaft ohne die weltbesten Spieler? Undenkbar, auch wenn wir Liverpool-Fans uns häufig zurecht in den Länderspielpausen langweilen und uns manchmal wünschten, dass der Vereinsfußball nicht von Länderspielen unterbrochen würde. Wie das aussehen könnte, macht das Eishockey vor: Aufgrund von fehlenden Regulierungen weigern sich vor allem die Vereine der nordamerikanischen NHL, der mit Abstand besten Liga der Welt, ihre Spieler für die Nationalmannschaften spielen zu lassen. Das ist der Hauptgrund, weshalb die Weltmeisterschaft des Eishockeys keinen großen Stellenwert in den USA hat.
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Momentan reguliert die FIFA mit dem ihr unterstelltem europäischem Kontinentalverband UEFA den Klubfußball in Europa. Die FIFA ihrerseits gerät zurecht immer wieder ins Kreuzfeuer der Medien, das ist allerdings ein anderes Thema, aber zumindest gibt es grobe Regeln, an die sich alle halten müssen. Mit der Abspaltung der Super League gäbe es demnach einige Probleme, die auch uns Fans betreffen, wie zum Beispiel, ob die neue Liga weiterhin mit Fangruppen zusammenarbeiten würde. Die Obergrenze von 30 Pfund für Auswärtstickets in der Premier League (von der sich Liverpool je nach Ausmaß der Super League wohl abspalten würde) oder die aktuell sehr fruchtbare Debatte um Safe Standing sind zwei Beispiele, deren Weiterführung in der neuen Super League in Frage gestellt würden. Die Fanvereinigungen haben lange für solche Errungenschaften gekämpft – erinnern wir uns nur mal an den „Walkout on Minute 77“, als die Liverpool-Fans erfolgreich massiv höhere Ticketpreise verhinderten. Bei der Einführung der Super League würde dieser Kampf wieder von neuem beginnen.
UEFA und FIFA unter massivem Druck
FIFA-Präsident Gianni Infantino hat unlängst damit gedroht, dass die Spieler der Super League-Vereine von den Welt- und Europameisterschaften verbannt würden. Auch die nationalen Ligen könnten die Deserteure bannen, was aber wohl irrelevant ist, denn die Super League-Vereine würden die Ligen freiwillig verlassen.
„Entweder man ist drinnen oder draußen und das betrifft alles“, gab der Schweizer zu verstehen. Gemäß dieser Aussage ist die FIFA nicht bereit, Schlupflöcher zu gewähren.
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Um Abspaltungen zu vermeiden, sehen sich die beiden großen Fußballverbände dazu genötigt, ihrerseits neue Formate zu lancieren. Die FIFA will die Vereinsweltmeisterschaft reformieren und entweder jährlich oder alle vier Jahre abhalten, wobei nicht wie aktuell nur die Sieger der Kontinentalwettbewerbe zugelassen wären (sieben Vereine spielen im aktuellen Format jeden Dezember um die Vereinsweltmeisterschaft), sondern 24 Vereinsmannschaften aus aller Welt, die über einen Zeitraum von 18 Tagen den Titel ausspielten. Die UEFA hat gegen diese Pläne bereits Widerstand angekündigt, auch viele Vereine sind von dieser Idee nicht begeistert.
Auch die UEFA selbst reagierte auf den immer größer werdenden Druck, mehr Geld auszuschütten (in der Super League könnten die Vereine das mehrfache der Champions League Gelder einnehmen), indem sie die besten vier Vereine aus den Top vier Ligen gemäß Fünfjahreswertung mit einem garantierten Platz in der Champions League belohnte – Liverpool profitierte diese Saison von dieser Änderung, denn obwohl unsere Redmen 2017/18 Vierter wurden, war anders als zu Beginn der Saison 2017/18 keine Qualifikation mehr notwendig, als wir 2016/17 ebenfalls Vierter wurden. Wer will schon durch eine lästige Qualifikation und jede Saison aufs Neue zeigen, dass man sportlich gut arbeitet?
Schließlich hat England sechs Vereine, die sich dauerhaft in der europäischen Elite sehen – zumindest denken das wohl die Gründervereine der Super League. Auch wenn das Geld aus der Champions League im Vergleich zu den TV-Einnahmen klein ist, ist es doch nicht irrelevant. Seit dieser Saison gibt es mit der Anstoßzeit 18:55 Uhr noch mehr Möglichkeiten, die Spiele der Champions League zu vermarkten – die Leidtragenden sind dabei nur die Fans, sonst niemand. Wollen wir wirklich eine noch größere Zerstückelung der Spiele, nur weil sich die UEFA von der Super League in die Enge getrieben sieht?
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Neben der potentiellen Super League laufen also auch Bestrebungen von UEFA und FIFA, ihre eigenen Wettbewerbe so zu verändern, dass die Großclubs weiterhin nicht desertieren, wobei sich die beiden Verbände mit ihren vielen Reformvorschlägen selbst im Weg stehen. Davon profitieren könnte die Super League, die dann als Konkurrenzliga zu der bestehenden Fußballordnung agieren würde.
Was würde also eine solche Konkurrenz bedeuten? Sicher einmal würden beide Formate massiv um Fans buhlen und alles versuchen, um Aufmerksamkeit zu generieren, was den Fußball noch unübersichtlicher machen würde. Es gäbe auch Unsicherheit über die Spielregeln, denn die Super League wäre nicht mehr an FIFA-Regulierungen gebunden, wobei aber davon ausgegangen werden kann, dass sich nicht viel verändern würde. Trotzdem könnte es sein, dass die Spielregeln anders interpretiert würden und es so zu einer Regeldiskrepanz kommen könnte – bislang gelten auf der ganzen Welt die gleichen Spielregeln.
Nicht nur die Spielregeln auf dem Feld könnten verschieden sein, auch die abseits des Platzes. Der Fall Manchester Citiy aus dem Jahre 2014 ist der prominenteste (wobei auch andere Vereine schon gegen das Financial Fair Play verstoßen haben, zum Beispiel auch Paris St. Germain). Es ist allgemein bekannt, dass die Besitzer des Vereins aus Manchester das Financial Fair Play (FFP) nicht mögen und es mit allen Mitteln umgingen, wie zum Beispiel mit aufgeblasenen Sponsorendeals oder zwielichtigen Bilderrechten für die Spieler und es immer noch tun. Die UEFA untersuchte den Fall, doch es resultierte nur in eine Buße im Umfang von lächerlichen 17 Millionen Pfund, welche den eigenen Statuten widerspricht. Mittlerweile wird auf vielen Umwegen weiter massiv Geld in den Verein gepumpt und Manchester City wird mehr und mehr ein Werbeträger von Abu Dhabi und den gesamten Vereinigten Arabischen Emiraten.
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Eine mögliche Konsequenz bei Verstoß gegen das Financial Fair Play ist der Ausschluss aus der Champions League, was die UEFA aber nicht wagte. Denn schließlich gehört „Man City“ seit den Ölmilliarden aus den Händen von Mansour bin Zayed Al Nahyan – bekannt als Sheikh Mansour – zu den besten Vereinen Europas. Kleinere Vereine wie der AC Mailand („kleiner“ im Kontext der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart, nicht der ganzen Vereinsgeschichte, denn da ist der AC Mailand weitaus grösser als Man City) werden von der UEFA derweil ohne mit den Wimpern zu zucken nach Verstoß gegen das FFP von allen europäischen Wettbewerben gesperrt – weitere Beispiel sind der FC Malaga 2013/14, Ruch Chorzow aus Polen oder der FK Ekranas aus Litauen um nur einige zu nennen.
Lässt sich die UEFA aus Angst vor einer Super League also erpressen? Dieses Szenario ist sehr wahrscheinlich, denn kein Verband will seine Aushängeschilder verlieren. Es darf sehr stark bezweifelt werden, ob die Super League Regulierungen wie das FFP einführen würde. Falls doch, könnten es die mächtigen Vereine wieder vorführen, wie es Man City tat. Es darf einfach keine Drohkulisse geben, hinter der sich die großen Vereine verstecken können und bei Regelverstoß drohen sie mit einer eigenen Liga.
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Dementis unglaubwürdig
Auch wenn die relevanten Personen die Gerüchte um die Super League verneinen, bleiben diese Dementis unglaubwürdig. Die Verhandlungen, welche im Hintergrund ablaufen, sind wenig überraschend nicht transparent und es ist nicht bekannt, wie ernsthaft oder fortgeschritten die Pläne sind. Die Funktionäre dementieren zwar nicht, dass es Überlegungen zur Super League gibt, sie lehnen eine solche Liga öffentlich aber ab. Karl-Heinz Rummenigge bekannte sich in einem Interview zur Bundesliga sowie Champions League und sagte, die Bayern werden nicht daraus aussteigen – „Football Leaks“ erzählt aber eine andere Geschichte, nämlich, dass der FC Bayern 2016 einen Austritt aus der Bundesliga und Champions League prüfen lies.
Ähnlich tönt es bei Hans-Joachim Watzke, der aber auch betonte, dass wenn es zu einer Super League kommt, diese nicht ohne den BVB stattfinden dürfe. Er sagte außerdem, dass er glaube, dass ein paar große europäische Vereine daran arbeiten. Eine vereinte Stimme gegen die Super League sieht anders aus, denn es könnten hier noch viele weitere Beispiele anderer Aussagen wichtiger Vereinsfunktionären anderer Clubs gemacht werden.
Und wir?
Wie steht es eigentlich um die Position des Liverpool FC in der ganzen Sache? Das ist wenig bis gar nicht bekannt, es darf aber davon ausgegangen werden, dass auch die FSG an einer Super League interessiert sein dürfte – immerhin gibt es seit einigen Jahren verstärkte Gespräche mit der FA über eine noch bessere Verteilung der Fernsehgelder zu Gunsten der großen Clubs in England. Damit wäre aber die rote Linie klar überschritten, denn wir haben unseren Vereinsmythos im englischen Fußball, geführt von der FA, sowie im Europapokal, geführt von der UEFA, erarbeitet. Wie oben schon betont: Alle diese Organisationen haben ihre Schattenseiten und sind definitiv nicht das Gelbe vom Ei und einen eigenen Artikel wert. Sie bilden aber das Fundament des Fußballs und haben ihn über Jahrzehnte geprägt. Die heutige Champions League ist schon genügend elitär und ein Ausstieg aus dem alten, aber dennoch sehr modernen europäischen Fußball-Mechanismus wäre ein Verrat an unserer eigenen Geschichte.
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Auch wenn es in der Welt sehr viele wichtigere Dinge als Fußball gibt, darf es nicht sein, dass die wirtschaftlichen Interessen weniger Investoren die Weltsportart Nummer eins noch weiter Richtung totaler Kommerzialisierung drängen. Die Befürworter einer Super League übersehen, dass es mit der Champions League schon jetzt eine Super League gibt, die noch viel besser als eine Egoshow der Großen ist, denn auch wenn wir den Liverpool FC zum Fußballadel zählen, dürfen wir die kleinen Vereine nicht in der Wüste verdursten lassen. Die Lage bleibt auf jeden Fall ernst, denn sonst müsste sich „John“ nicht verstecken, sondern könnte unter seinem richtigen Namen Interviews geben.